Für die Mitglieder des Thurgauer Vereins Ocean Youth Sailing (OYS) hat sich der grosse Traum erfüllt: Nach sechsjähriger Planungs- und Bauzeit ist ihr selbst gebauter Hochseekatamaran Vellamo auf dem Rhein Richtung Holland unterwegs, um den ersten grossen Törn Richtung Mittelmeer in Angriff zu nehmen.
Text: Walter Rudin
Im Frühling 2014 kamen einige Mitglieder von Jugendsegeln Steckborn auf die verrückte Idee, einen hochseetauglichen Katamaran zu bauen. Sie gründeten den Verein Ocean Youth Sailing, um das ambitionierte Projekt zu organisieren. Der Kat sollte dazu dienen, Jugendliche im Hochseesegeln auszubilden und gemeinnützige Projekte im Bereich Jugend, Umwelt und Meer umzusetzen. Der Eigenbau war ein hehres Ziel und die Erfüllung kostete viel Ausdauer, aber die 400 Helfer haben in über 20 000 ehrenamtlichen Arbeitsstunden geschafft, was viele kaum für möglich hielten. Unter der Anleitung fachkundiger Mitglieder bauten sie den 13,6 Meter langen und 7,4 Meter breiten Arrow 1360 nach Plänen von Konstrukteur Jeff Schionning von Grund auf selbst. Im Frühling 2016 wurde am Bodensee unmittelbar neben dem Hafen Bottighofen mit dem Bau begonnen. Unter Anleitung von Lukas Ruppen wurde gespachtelt, geklebt, geschliffen und lackiert. Gut ein Jahr später waren die beiden Rümpfe miteinander verbunden und der Innenausbau konnte beginnen. Im März 2019 erfolgte der Einbau der Bordsysteme: Motoren, Batterien und Watermaker wurden installiert und Kabelkanäle verlegt. Alle diese anspruchsvollen und zeitintensiven Arbeiten konnten nur von Fachleuten erledigt werden. Bald wurde klar, dass das Boot nicht termingerecht fertig würde.
Stehvermögen gefordert
Nicola Möckli, nGründungsmitglied und Medienverantwortlicher von OYS, hat alle Hochs und Tiefs auf dem langen Weg zur Realisation des Projekts hautnah miterlebt: «Natürlich hatten wir während dieser langen Zeit hin und wieder Probleme mit der Motivation. Das galt auch für uns Vorstandsmitglieder, die viel Freizeit investiert haben. Es gab Momente, da merkten wir, dass es doch nicht so schnell vorwärts geht, und Phasen, in denen wir über das Projekt nachdachten und es optimierten. Entscheidend war aber, dass wir ein Ziel vor Augen hatten. Wir waren dabei, mit tollen jungen Leuten ein tolles Schiff zu bauen und das bereitete uns so viel Freude, dass wir jedes Mal wieder mit einem neuen Motivationsschub loslegen konnten.» Ein grosses Thema war auch die Finanzierung. 370 000 Franken kostete der Katamaran schlussendlich und dem Verein ist es tatsächlich gelungen, das Geld aufzutreiben. Dazu waren trotz des guten Projekts enorm viel Arbeit und Geschick nötig. Damian Ruppen, Chef Sponsoring, kämpfte ehrenamtlich jede Woche ein, zwei Tage um finanzielle Unterstützung von Privaten, Stiftungen, Firmen sowie von Sporttoto und anderen Organisationen.
Testphase auf dem Bodensee
Nach dreieinhalb Jahren Bauzeit war es im Spätsommer letzten Jahres endlich soweit. Der Katamaran von OYS fand den Weg auf den Bodensee. Mit einem Pneukran wurde das 7,5 Tonnen schwere Schiff zu Wasser gelassen und der 17,5 Meter hohe Mast aufgestellt.
Rund 200 Zuschauer verfolgten das Spektakel im Hafen von Bottighofen. Gross war an diesem
Event auch das Interesse der Printmedien, Fernseh- und Radiosender. Die Taufpartentpuppte sich als Riesenfest zur Feier des gemeinsamen Werks, dem Kat Vellamo. In den folgenden Monaten kreuzte der Vellamo auf dem Bodensee. «Wir wollten allen, die uns unterstützt haben, den vielen Bauhelfern, Sponsoren und Gönnern, etwas zurückgeben und ihnen die Möglichkeit bieten, mit dem Katamaran zu segeln. Davon haben sehr viele profitiert», sagt Nicola Möckli. Natürlich wurde der Katamaran auf dem Bodensee auf Herz und Nieren getestet und es waren einige
Optimierungen nötig. Die Fallen waren zum Beispiel zu klein dimensioniert und die Backskisten
füllten sich bei Regen mit Wasser, weil die Entwässerung nicht funktionierte. Ein grosses Thema
war der Antrieb. Während der Bauzeit hatte man entschieden, auf Elektroantrieb umzustellen. Die
Energie für die Batterien wird aus 2 kW-Solarzellen und durch Rekuperation der Wasserkraft beim Segeln gewonnen. Zur Not kann mit einem Generator Strom produziert werden. Bei den Testfahrten hatte sich dann allerdings gezeigt, dass die Rekuperation nicht klappte, einige Steuerteile mussten ersetzt werden. Zudem war die Abstimmung des Motors nicht ideal. Er kam nicht auf die volle Leistung, weshalb der Propeller ausgewechselt wurde. Bei einem 24-Stunden-Dauertest bewies der Motor bei einer Fahrt rund um den Bodensee aber schliesslich, dass er dem Dauerbetrieb standhält.
Ab ans Meer
Ende Dezember wurde der Kat ausgewassert und mittels Spezialtransport auf der Autobahn von Altenrhein nach Basel transportiert. Damit verliess er seine Heimat für immer. Die Überführung war eine logistische Meisterleistung. Ein spezieller Transporter und sechs Begleitfahrzeuge sorgten dafür, dass der Katamaran bereits nach vier Stunden nächtlicher Fahrt im Auhafen Basel ankam. Bis zum Frühling erhielt der Vellamo hier eine verdiente Pause. Mitte März erfolgte die Überführung auf eigenen Rümpfen rheinabwärts Richtung Meer. Anfang April wird in Lemmer am geschützten Isselmeer der Mast gestellt und es werden alle Systeme geprüft, bevor es in Ijmuiden bei Amsterdam auf die Nordsee geht. Anschliessend segelt der Vellamo durch den englischen Kanal nach Cherbourg. Dort können sich die vielen B-Schein-Absolventen und Aspiranten von OYS bei einem anspruchsvollen Ausbildungstörn um das Cap de la Hague mit dem grossen Kat vertraut machen. Nach der anschliessenden Durchquerung der Biskaya legt der Vellamo in Portugal einen Zwischenstopp ein, um dort unter anderem das gemeinsam mit dem Sportamt des Kantons Thurgau organisierte kantonale Segelsportlager durchzuführen. Durch die Strasse von Gibraltar und entlang der spanischen Küste wird der Vellamo bis Anfang August für die erste Saison in die Balearen überführt. Dort wird der Katamaran bis Ende der Semesterferien für Feriensegelwochen zur Verfügung stehen. Ende Oktober erfolgt dann die Überführung ins Winterlager nach Marseille. Auf der Reise zum Mittelmeer und nach Mallorca bietet OYS zweiwöchige Überführungs- und Ferientörns an. Für einige Etappen sind noch Plätze zum Mitsegeln frei! Infos unter oceanyouthsailing.com