Segelvergnügen, Badespass, Ausflüge, abwechslungsreiche Landschaften und Dolcefarniente: Das sind in unseren Augen die Zutaten für perfekte Segeltage. Und wir haben sie auch diesen Frühsommer gefunden. Für einmal ganz nah, im Herzen der Schweiz, auf dem Vierwaldstättersee.
Text: Walter Rudin
Es ist ein wunderschöner Frühsommermorgen, als wir unsere Jacht, eine Bavaria Cruiser 34, von der Charterfirma in Luzern übernehmen. Wir haben uns diesen Törn etwas kosten lassen und die grösste verfügbare Jacht gechartert. Gerade billig sind gute Charterboote ja auch im Ausland nicht und wir haben uns den teuren Flug gespart. Die Schiffsübergabe erfolgt unkompliziert und wir laufen sofort aus. Ein leichtes Lüftchen säuselt über die Luzerner Bucht und verführt uns dazu, direkt die Segel zu setzen. Viel Fahrt macht die schwere Jacht mit der leichten Stadtthermik zwar nicht, aber so bleibt Zeit, die Silhouette der Stadt zu geniessen. Die Touristenmetropole Luzern mit der hölzernen Kapellbrücke, den markanten Museggtürmen und dem wuchtigen Pilatus im Hintergrund gehört verdientermassen zu den schönsten Sehenswürdigkeiten der Schweiz. Aber eigentlich sollten wir unsere Aufmerksamkeit auf das Wasser lenken. Es herrscht reger Schiffsverkehr in der Luzerner Bucht. Wir müssen Tretboote, Freizeitsegler, Fischerboote und besonders die Kursschiffe im Auge behalten. Sie weichen keinen Zentimeter von ihrem Kurs ab. Langsam entfernen wir uns vom hektischen Treiben der Stadt. Die vielen Spaziergänger an den Promenaden gleichen schon bald emsigen Ameisen und die Christusstatue beim Meggenhorn zeigt uns den Weg zum Kreuztrichter, wo die vier Arme des Vierwaldstättersees
zusammenlaufen. Der Wind schläft ein, aber damit müssen die Segler hier rechnen. Noch einige Augenblicke geniessen wir die herrliche Aussicht Richtung Süden auf die schneebedeckte Alpenkette, dann heisst es Segel runter, Motor an. Vorbei an herrlichen Villen und kleinen Buchten gehen wir auf Kurs Richtung Westen nach Stansstad, wo uns die Achereggbrücke die Weiterfahrt versperrt. Hier ist der Durchgang auf acht Meter Höhe beschränkt. So bleibt uns der Alpnachersee, der Seezipfel hinter diesem Nadelöhr, verwehrt.
Nächtliche Thermik
Wir legen im Gemeindehafen Stansstad an, der mitten im Dorfzentrum liegt. Für einen Ausflug mit der Cabrio-Bahn aufs Stanserhorn ist es bereits zu spät und so entschliessen wir uns, den Alpnachersee zu Fuss näher zu erkunden. Der Verkehr der A2 brummt laut unter der Brücke, umso mehr sind wird überrascht von der Ruhe auf der anderen Seite. Keine schreienden Badenden, kaum Boote, kein störender Schwell; es ist, als ob wir in eine andere Arena eintreten. Mit seinen unbebauten Ufern, dem dichten Wald und dem Delta des respektablen Sumpf- und Moorgebiets der Sarneraa ist der Alpnachersee ein idyllisches Revier für Naturfreunde. Und er würde gute Segelbedingungen bieten, denn hier herrscht häufig Schönwetterthermik – für Jollensegler und Kiter ein ideales Revier. Ein üppiges Nachtessen auf der Seeterrasse in Stansstad verschafft
uns die nötige Bettschwere. Hinter der festen Mole ist das Wasser spiegelglatt und lässt uns auf eine ruhige Nacht in den geräumigen Kojen hoffen. Doch mitten in der Nacht schrecke ich plötzlich auf. Die Falle schlagen an den Mast, das Boot zurrt. Ist ein Gewitter im Anzug? Ein
Kontrollgang beruhigt mich, sternenklarer Himmel, nur schöner, konstanter Wind. Es reizt mich auszulaufen und die guten Bedingungen zu nutzen, aber ich möchte meinen Mitsegler dann doch nicht aus dem Schlaf reissen. Am nächsten Morgen lasse ich mich von Einheimischen belehren, dass hier bei schönem Wetter Nachtthermik aufkommt. Die ist aber inzwischen wieder einer Flaute gewichen und es bleibt uns nichts anderes übrig, als unseren Törn unter Motor fortzusetzen. Wir wollen zum hinteren Seeteil und fahren am Nordufer des Bürgenstocks entlang. Oben auf dem Felsgrat thronen die grossen Hotels des Bürgenstock-Resorts. Investoren aus den Emiraten haben hier eine halbe Milliarde Franken in die vier Hotels, Residence-Suiten, zahlreichen Restaurants sowie in eine 10 000 m2 grosse Spa-Landschaft gesteckt. Eine Zahnradbahn würde uns von Kehrsiten auf den Bürgenstock bringen. Wir verzichten aber darauf und setzen unsere Fahrt durch das Weggiser Becken fort.
Flaute am Bürgenstock
Der Eintritt ins Gersauer Becken verspricht auch keinen Wind. Es ist heiss geworden und wir entschliessen uns, es den anderen Booten gleichzutun und im Buochli kurz vor Ennetbürgen zu ankern, um zu baden. Der Vierwaldstättersee verfügt über eine hervorragende Wasserqualität und
hier ist der See auch angenehm warm. Die Temperaturunterschiede in den verschiedenen Seeteilen können aber eklatant sein. Ich nehme Flossen und Taucherbrille und kann beim Schnorcheln tatsächlich die Unterwasserwelt beobachten. Ruhig liege ich mitten in einem Schwarm kleiner Fische, die sich im seichten Wasser tummeln. Darunter lauern einige schöne Egli auf Beute. Das heutige Ziel ist der Hafen Buochs. Aufgrund der gefürchteten Föhnstürme ist die Mole hier besonders massiv gebaut. Auf dem Weg vom Urnersee zum Ende des Gersauer Beckens bauen sich dann enorme Wellen auf und laufen auf die Buochser Hafenmole zu. In den frühen 1980er-Jahren hatte die monumentale Zerstörungskraft eines Föhnsturms die schwimmende Betonmole des damals neu gebauten Hafens herausgerissen und enorme Schäden an Booten und am Ufer verursacht. Bei Föhn segelt man hier nicht, er ist unberechenbar, sagen Insider. Surfer und Kiter sehen das etwas anders. Am nächsten Morgen erwartet uns im Gersauer Becken endlich etwas Wind. Er lässt uns ruhig und angenehm in die Morgensonne segeln. Wir nähern uns den historischen Stätten, passieren in Treib am See die Bahn zum Seelisberg, umschiffen einen Felsvorsprung und sind plötzlich im Herzen der Urschweiz, auf dem Urnersee, umgeben von Kultorten wie dem Rütli und dem Schillerstein, eingeschlossen von den monumental emporragenden Steilwänden der Alpen.
Traumrevier Urnersee
Der Wind weht zuerst ganz sanft von hinten. Wir setzen den Spinnaker und spüren sofort, dass er zieht. Noch kräuselt sich das Wasser kaum, aber in unsere Bavaria kommt Leben. Es wurde uns nicht zu viel versprochen. Endlich können wir richtig segeln! Der Urnersee ist das windsicherste voralpine Gewässer der Schweiz. Die imposanten Felsmassive sorgen bei sonniger Wetterlage für eine Thermik, die sich durchaus mit jener des «grossen Bruders», dem Gardasee, vergleichen lässt. Das Speedometer klettert nach oben, wir geniessen die rauschende Fahrt und surfen über die immer grösser werdenden Wellenberge. Das Urner Becken ist etwa 10 Kilometer lang, für uns aber viel zu kurz, denn bereits nähern wir uns Flüelen am Südende des Sees und es heisst Spi
bergen. Seit einigen Jahren bietet der Flüeler Hafen eine gute Infrastruktur für gemütliches Übernachten. Entsprechend belegt sind im Sommer hier die Gästeplätze. Die Thermik auf dem Urnersee baut sich jeweils erst gegen Mittag auf. Frühaufsteher können die Zeit für einen Ausflug mit einer der vielen nahegelegenen Bergbahnen nutzen. Wir entscheiden uns jedoch für die
gemütliche Variante und erkunden zu Fuss das wilde Reussdelta. Der grösste Teil steht unter Naturschutz und darf nicht betreten werden, es gibt aber genügend Wanderwege durch die Auenlandschaft, Picknickstellen und sogar ein Freibad. Uns imponieren besonders die beiden Badeinseln, die mit Ausbruchmaterial des Gotthardtunnels aufgeschüttet wurden und je nach Lichtverhältnissen durchaus karibisch anmuten. Das Wasser hier ist aber eiskalt, die nahe Reuss bringt noch viel Schmelzwasser in den See. Es wird eine herrliche Kreuz gegen die Thermik. Die Bavaria schiebt in den 20-Knoten- Böen ganz schön Lage und hätte eigentlich ein Reff gebraucht, wir verzichten aber darauf. Zum Bestaunen der herrlichen Landschaft bleibt wenig Zeit. Wir kommen dicht an der Tellskapelle vorbei. Hier soll Wilhelm Tell den Sprung in die Freiheit gewagt haben. Auf halbem Weg liegt das Dörfchen Sisikon, eigentlich die ideale Segeldestination, denn hier bläst die Thermik direkt vor der Hafeneinfahrt am stärksten und längsten. Seit einigen Jahren
bietet hier der DIRT Regattaclub Sisikon jungen Schweizer Segeltalenten Trainings unter idealen
Voraussetzungen an. Vier Arme, hundert Impressionen Auf der Rückfahrt halten wir uns am Südufer. Obwohl wir die Gegend ja schon von der Hinreise kennen, ist es gar nicht so einfach, sich bei all den Buchten und Felsnasen zurechtzufinden. Der Vierwaldstättersee ist mit seinen acht fjordähnlichen Becken geografisch kompliziert, das macht ihn aber auch interessant und fasziniert uns. Hinter jedem Felsvorsprung wartet eine Überraschung, jede Bucht bietet etwas Spezielles, jedes Seebecken birgt eine neue Welt. Erst jetzt werden wir uns der immensen Vielfalt der Landschaft, des Klimas und der Vegetation bewusst. Vom alpinen Urner Becken im Süden mit seinen monumentalen Felsen verflacht die Gegend topografisch zunehmend zu einer sanften Hügellandschaft. Das raue, windige Bergklima geht in eine fast mediterrane Vegetation an der Innerschweizer Riviera um Weggis und Vitznau mit ihren Palmen und Kastanienwäldern über. Die letzte Nacht wollen wir nicht in einem Hafen verbringen. Wir ankern neben einigen anderen Jachten in der Nähe von Hertenstein in der Sündenbucht. Die ausgelassene Stimmung spätabends auf den anderen Booten erklärt uns, wieso die Bucht wohl zu diesem eigentümlichen Namen kam. Dafür bleibt es am Morgen lange ruhig und wir können noch etwas Schlaf nachholen. Uns bleibt nur noch wenig Zeit, den letzten Seearm zu erkunden. Da etwas Bise aufkommt, reicht es für eine kurze Kreuz in das Küssnachter Becken, vorbei am malerischen Dorf Greppen am Fuss der Rigi, das wie alle Ortschaften hier am See in den letzten Jahren enorm gewachsen ist. Ein letztes Mal ziehen wir auf dem Rückweg den Spinaker hoch, bewundern die luxuriösen Villen vor Meggen und geniessen noch einmal den Blick zurück über den See auf die Alpenkette, bevor wir mit einem Zitat Goethes auf den Lippen zufrieden im urbanen Luzern einlaufen: «Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah. Lerne nur das Glück ergreifen: Denn das Glück ist immer da.»
MIT DER CHARTERJACHT (OBEN LINKS) AUF ENTDECKUNGSREISE DURCH DIE TOPOGRAFISCH UND KLIMATISCH VIELFÄLTIGE LANDSCHAFT
Praktische Infos:
Es ist sehr reizvoll, die vielen Arme des Vierwaldstättersees zu erkunden. Richtig guten und konstanten Wind findet man aber meist nur auf dem Urnersee. In den Sommermonaten können heftige Gewitter mit Sturmböen auftreten. Bei starkem Föhn sollte nicht gesegelt werden. Die zehn Warnleuchten der Sturmwarnung sind eine wertvolle Hilfe.
https://www.segelschule-schweiz.ch/sturwarnung.php
Charterfirmen von Segelyachten am Vierwaldstättersee:
Dobler Ingold Marinasport, Luzern (dobler-ingold.ch): Dehler29, Surprise
SNG Bootswerft Luzern (sng.ch/charter/segelboote/): Fareast23R, Bavaria Cruiser 34
SailCom Luzern und Brunnen (sailcom.ch/de/boote/Boot-mieten): Bavaria 31, Comet 850, Electra, Moser M2, Albin Wiggen, Speedy Conzales, Blickenstorfer Kristall
Sailbox Luzern und Sisikon (sailbox.ch/): mOcean
Segelschule Nessi, Brunnen (segelschule-schweiz.ch): Ceccarelli33
Marinas:
Tribschenhorn: Der Segelboothafen in Luzern liegt etwas ausserhalb der Stadt. Mit über 600
Plätzen ist er die grösste Marina auf dem See und verfügt auch über einige Gästeplätze.
bootshafen-luzern.ch
Stansstad: Der Hafen bietet nur wenige Gästeplätze, im Sommer lohnt es sich, rechtzeitig
einzulaufen. stansstad.ch/de/tourismus/gemeindebootshafen
Buochs: Sehr schöne neue Marina mit ausreichend Gästeplätzen und guter Infrastruktur.
korporation-buochs.ch/bootshafen
Flüelen: Beliebte Destination für Übernachtungen am gebirgigen Südende des Sees mit schönen Sanitäranlagen. Leider stört der Zugverkehr nachts. bootshafen-fluelen.ch
Brunnen Föhnhafen: Gut geschützte kleine Marina mitten im Dorf. Platz findet nur, wer
frühzeitig da ist oder etwas Mut beweist. brunnen.ch/hafen0
Brunnen Fallenbach: Grosser Hafen mit vielen Gästeplätzen, guter Infrastruktur und eigenem
Restaurant. marina-fallenbach.ch
Weggis Lützelau: Der Hafen liegt etwas ausserhalb des Touristenortes, hat aber einige
Gästeplätze. bootshafen-weggis.ch
Nebst den hier aufgelisteten grösseren Hafenanlagen bieten mehrere lokale Marinas ebenfalls Gästeplätze an. Es lohnt sich, vor Ort nachzufragen. Es gibt aber auch geeignete Ankerplätze, wo sich gut übernachten lässt.
KLEINE IDYLLE AM VIERWALDSTÄTTERSEE: