Skippers

🏛 » Auszug aus dem Logbuch der Vagabond: Auf dem Meer verschollen

Auszug aus dem Logbuch der Vagabond: Auf dem Meer verschollen

von Quentin

Vagabond, so heisst unser kleines Segelboot aus Stahl. Es misst gerade einmal 9,5 Meter. Wir haben es renoviert, hochseetauglich gemacht und dann vom Neuenburgersee nach Südfrankreich transportiert. Dort sind wir im Juni 2017 zu unserer Weltreise aufgebrochen. Für meinen Partner Tom war es nicht die erste Atlantiküberquerung, aber diesmal schien der Ozean besonders feindlich gesinnt. Unsere Reise wurde zum Überlebenskampf.

Allein in der Unendlichkeit des Ozeans, ausserhalb von Zeit und Welt, haben wir auf kleinstem Raum 45 Tage auf dem Meer verbracht, bis wir am Horizont endlich wieder Festland erblickten. Dabei hatten wir beim Start in Lanzarote eigentlich gehofft, es in dreissig Tagen bis nach Martinique zu schaffen. Doch es kam anders. Extreme Wetterbedingungen und eine Reihe technischer Probleme zwangen uns, die Segelfläche auf ein Minimum zu reduzieren. Wir wollten schliesslich wohlbehalten ankommen.

Weltuntergangsstimmung

tourmentinDer Wind dreht abrupt auf und bläst uns mit 40 bis 50 Knoten böenartig um die Ohren. Wütend bäumt sich der Ozean auf. Die Wellen bilden tiefe Täler und brechen mit ohrenbetäubendem Lärm schäumend nieder. Der tobende Tanz des Atlantiks ist grossartig und furchteinflössend. Verängstigt und doch fasziniert beobachten wir das grandiose Naturschauspiel. Die Vagabond fährt Achterbahn. Sie surft auf den Wogen, die sich hinter ihr aufrichten. Seitlich schlägt das Wasser mit voller Wucht gegen das Boot und überflutet es. So muss es sich in einer Waschmaschine anfühlen!

Der „dritte Mann an Bord“ lässt uns im Stich

Bereits am zweiten Tag gibt der neue Autopilot den Geist auf. Die Aries ist ebenfalls beschädigt, obwohl sie eigentlich als zuverlässigste Windsteueranlage gilt. Sollte uns der „dritte Mann an Bord“ komplett im Stich lassen, müssen wir die ganze Überquerung manuell bewältigen. Tom kann ihn behelfsmässig flicken, trotzdem hat er Mühe, den Kurs zu halten.

Eine Havarie jagt die nächste

Frei nach Murphys Gesetz kommt ein Unglück selten allein. Wir werden regelrecht vom Pech verfolgt. Hinterhältige Wellen füllen das Cockpit. Und das ist offenbar undicht. Das Wasser dringt unter Deck. Ein Alptraum! Eine Unterwante gibt nach. Aufgrund der Notreparatur müssen wir das Rigg schützen, indem wir es untertakeln. Als wir nach einem Kurzschluss des Elektromotors nur knapp einen Brand verhindern können, ist der Skipper mit den Nerven am Ende. Es scheinen wirklich alle Stricke zu reissen. Bei den extremen Bedingungen folgt eine Havarie der nächsten. Zum Glück fängt sich Tom wieder. Er findet eigentlich in jeder noch so aussichtslosen Situation eine Lösung. Um dennoch etwas vorwärtszukommen, wechseln wir uns am Steuer ab, sobald es die Bedingungen erlauben.

Die Bordküche

Kochen und Abwaschen werden zum Balanceakt. Sei’s drum. Wir bereiten köstliche Mahlzeiten zu, die unsere Stimmung heben. Zwar haben wir genügend Wasser und Grundnahrungsmittel gebunkert, aber mit der Zeit schwinden unsere Vorräte und unsere Speisen werden bescheidener. Was gefährlich schnell zur Neige geht, ist das Toilettenpapier. Damit wir möglichst sparsam damit umgehen, nummerieren wir die letzten Rollen.

Willkommene Verschnaufpause

Der Atlantik gönnt uns einen kurzen Waffenstillstand. Zwei Tage segeln wir bei Sonnenschein und idealen 15 bis 20 Knoten Wind. Mit gleichmässigen Bewegungen schaukelt die Vagabond über die Wellen. Leider sollte es nicht lange so bleiben.

couché-de-soleilDie Nerven bis aufs Äusserste gespannt

Eine Sturmböe nach der anderen fegt übers Wasser. Der Wind und sein Orchester veranstalten einen Höllenlärm und die nördliche Dünung schüttelt uns erbarmungslos hin und her. Wir sind erschöpft, gefrustet und deprimiert. Die beschädigte Aries kann das Boot nur mit verkleinerter Segelfläche steuern. Bei diesem Tempo werden wir für die Überfahrt garantiert länger als 40 Tage brauchen.

Ein Kloster auf dem Wasser

Etwas ist auf dem Meer in Hülle und Fülle vorhanden: Zeit. Unsere Tage vergehen mit Essen, Navigation, Manövern, Lesen, Schreiben, Musikhören, Träumen und Meditieren. Dadurch, dass wir komplett von der Aussenwelt abgeschnitten sind, finden wir zurück zum Wesentlichen. In unserer Raumkapsel hält die Zeit inne, das Schiff wird zu einem kleinen Kloster auf dem Wasser.

Als vermisst gemeldet

Am 45. Tag sichten wir Martinique am Horizont. Uns kommen die Tränen. Diese Nacht werden wir endlich im sicheren Hafen schlafen. Die Rückkehr an Land ist ein aufwühlendes Erlebnis. Wir waren als vermisst gemeldet, was eine breite Suchaktion ausgelöst hatte. In den sozialen Netzwerken war Panik ausgebrochen und die Suchmeldung wurde unzählige Male geteilt. Nach unserer Ankunft erhielten wir Hunderte ergreifende Nachrichten.

redresser-ligne-d'horizon-svpWir haben uns angewöhnt, beim Segeln offline zu bleiben, da wir uns gerne auf das Wesentliche im Leben besinnen. Unser kleines Boot war nur mit der allernötigsten Elektronik ausgestattet und unser Budget höchst bescheiden. Etwas haben wir bei unserem Höllenritt gelernt: Wenn wir eine Möglichkeit vorgesehen hätten, unsere Angehörigen zu informieren, hätte die Geschichte kein solches Ausmass angenommen. Mittlerweile haben wir uns sogar ein BLU-Funkgerät sowie ein Iridium Go angeschafft.
Das Abenteuer hat uns reicher und stärker gemacht und die Vagabond hat uns ihre Schwächen, aber auch ihre Stärken gezeigt. Nachdem wir sie geflickt und optimiert hatten, genossen wir die Antillen und segelten anschliessend bis nach Panama.

 

Dans la meme categorie