Ein Törn rund um die berühmte Schmetterlingsinsel ist genauso kunterbunt und faszinierend wie die anmutigen Falter. Solange man dem beharrlichen Passat, der unangefochten über die karibischen Gewässer herrscht, zu seinem Verbündeten macht, steht einer faszinierenden Reise nichts im Weg.
Text: Erwann Lefilleul
Fotos: Bertrand Duquenne
Beim Loslegen in der schwülen Hitze der Marina Bas-du-Fort in einem Vorort von Pointe-à-Pitre ist die Vorfreude gross. Die Kontinentalfranzosen, die gerade erst dem grauen europäischen Winter entflohen sind, können es kaum erwarten, sich vom Lagoon 450F Lola Rasta durch die exotische Welt tragen zu lassen. Mit gehissten Segeln fährt der Katamaran aufs offene Meer. Ein warmer, sanfter Wind, herrlicher Sonnenschein und karibische Düfte läuten das Abenteuer ein. In den Köpfen überschlagen sich verheissungsvolle Namen wie La Soufrière, Îles des Saintes, Morne und Marie-Galante.
Nach kurzer Fahrt rückt Gosier in Sichtweite. Gut geschützt von der kleinen Insel, auf der stoisch ein Leuchtturm wacht, bietet sich ein reizvoller Sandfleck hinter einem Korallenriff für eine erste Übernachtung an. Tagsüber geht es hier ziemlich turbulent zu, denn sowohl die Einheimischen als auch die Hotelgäste von Grande-Terre kommen gerne nach Gosier. Am späten Nachmittag nimmt der Betrieb zum Glück ab. Dann wirkt der Ort plötzlich wie ausgestorben und es herrscht eine wohltuende Stille. Nur einen Steinwurf entfernt befindet sich in der Anse de Sainte-Pierre ein weiterer sicherer Liegeplatz. Man erreicht die Sandbucht durch eine schmale Passage im grossen Korallenplateau. Die beiden nur sieben Seemeilen auseinander liegenden Ankermöglichkeiten eignen sich gut als Testdestinationen, bevor man sich etwas weiter hinaus aufs offene Meer wagt. Hier hat man Gelegenheit, sich mit dem Boot vertraut zu machen, die Möglichkeiten auszuloten und vor allem einen Windvorteil zu erlangen, um danach möglichst in einem langen Schlag zu den kleinen Îles de la Petite Terre oder zur treffend benannten La Désirade überzusetzen. In der Hochsaison, dem sogenannten Carême von Dezember bis April, weht der Passat aus Nord bis Nordost, im Allgemeinen mit Stärke 3 bis 5. Jetzt, im Februar, muss Lola Rasta gegen einen konstant steifen Ostwind Stärke 5 und ein aufgewühltes Meer ankämpfen. Unter diesen Bedingungen schleppt sich unser reinrassiger Fahrtenkat im Schneckentempo voran. Eine Wetterwarnung vor starkem Wellengang aus Norden setzt dem Kraftakt ein vorzeitiges Ende. Da östlich keine Inseln liegen, muss der Katamaran abfallen.
Marie-Galante, aus der Zeit gefallen
Zum Glück gibt es genügend Liegestellen, sodass man seine Route jederzeit ändern kann. Lola Rasta nimmt Kurs auf Marie-Galante. Es gibt schlimmere Trostpreise! Die Überquerung zeigt, wie klug die Entscheidung war. Durch das Aufeinandertreffen von zwei Wellenzügen bäumt sich der Ozean mit aller Kraft auf. Glitzernd spritzt die Gischt in die Höhe, in der sich nur die fliegenden Fische wohl fühlen. Am Wind wäre das entfesselte Meer eine Tortur gewesen. In Marie-Galante sind Ankermöglichkeiten nicht gerade im Überfluss vorhanden, in Grand-Bourg und Saint-Louis sollte man aber fündig werden. Die beiden beschaulichen Häfen eignen sich gut als Ausgangspunkt für Exkursionen ins Hinterland. Ein Geheimtipp ist die Anse Cannot. Sie liegt wenige Bootslängen von einem schmalen Strand entfernt, eingebettet zwischen tropischer Vegetation und sanften Wellen am Fuss majestätischer Klippen. Wie aufgesogen in einem zeitlosen Raum gibt man sich unbekümmert dem Müssiggang hin.
Ohne den Zauber der Anse Cannot verleugnen zu wollen, der wirkliche Schatz der nahezu kreisrunden Insel verbirgt sich im Landesinnern. Berauscht von der Ursprünglichkeit der «Insel der hundert Mühlen» versetzt sie die Besucher fünfzig Jahre zurück in die Vergangenheit. Am besten erkundet man die Insel auf dem Landweg. In Grand-Bourg und Saint-Louis können Autos zu fairen Preisen gemietet werden. Auf kurvenreichen Strassen und ausgefahrenen Sandpisten geht es in einem eintägigen Roadtrip ins Reich des Zuckerrohrs, der sich sanft im auflandigen Wind wiegt. Sein Saft ist die Hauptzutat des Père Labat, dem berüchtigten weissen Rum mit 59 Volumenprozent! Die allgegenwärtigen Ochsenkarren scheinen sich im Einklang mit den synchronen Wellenbewegungen der langen Halme in gemächlichem Tempo durch die kreolische Landschaft zu bewegen.
Auf diesen landwirtschaftlich genutzten Flächen lässt man sich am besten vom Zufall leiten. Ein paar Sehenswürdigkeiten sollte man aber dennoch fest einplanen, allen voran die furchteinflössenden schwarzen Steilwände im Norden der Insel, die das Meer mit jahrelanger Beharrlichkeit ausgehöhlt hat. Das wohl beeindruckendste Werk dieses endlosen Martyriums ist die Gueule Grand Gouffre. Äusserst sehenswert ist zudem das Dorf Capesterre im Südosten mit seinen engen Gassen und kreolischen Häusern, an deren Schönheit der Zahn der Zeit genagt hat.
Les Saintes, die Perle der Karibik
Zwanzig Meilen im Windschatten von Marie-Galant stellt sich der Star-Archipel von Guadeloupe den Seglern in den Weg. An der Perle der Karibik kommt niemand vorbei. Wie eine zufällige Ansammlung von Vulkankieseln liegen die Saintes im Ozean verstreut und ziehen einem immer stärker in ihren Bann. Je näher man ihnen kommt, desto weniger kann man sich ihnen entziehen. Aus der Ferne locken sie mit ihren verführerischen Rundungen, die bei der Zufahrt durch die Passage des Grand-Îlet einem ganz anderen Bild Platz machen. Unter dem unaufhörlichen Angriff der Wellen hat sich die Küste in eine schroffe, kahle Landschaft verwandelt. Kaum ist die Landspitze Boisjoli passiert, verfliegt der karge Eindruck. Die Inselgruppe gibt ihr sanftes Innerstes preis, das sie offenbart wie einen gut gehüteten Schatz. Sozusagen als Ausgleich für das bisher so spärliche Angebot an Ankerplätzen hat man hier die Qual der Wahl. In kleinen Sprüngen durch das ruhige Meer hüpft man nach Lust und Laune von einem idyllischen Ort zum nächsten, sucht manchmal den Kontakt zur Bevölkerung, manchmal auch die Einsamkeit irgendwo zwischen den beiden Hauptinseln Terre-de-Haut und Terre-de-Bas und den sieben unbewohnten Eilanden, im Hintergrund stets die eindrücklichen Basaltsäulen des Pain de Sucre («Zuckerhut»). Allein auf weiter Flur schaukelt Lola Rasta sanft auf den Wellen der Anse Fideling, während von der wilden Îlet à Cabrit der betörende Duft versengter Rinde herüberschwappt.
Das Leben der Saintes spielt sich zur Hauptsache auf Terre-de-Haut ab. Dorthin kommen auch die meisten Touristen. Auf den wenigen Kilometer langen Strassen zwischen den Dörfern herrscht hektisches Treiben. Ganze Horden Roller und Mietwagen rasen aneinander vorbei. Statt sich ins Getümmel zu stürzen, kann man auch einfach zu Fuss gehen. Man passt sich dem Rhythmus der Einheimischen an und hält die Augen offen für spannende Details, die man sonst gerne übersieht. So entschleunigt lässt man die Atmosphäre auf sich wirken, geniesst das ruhige Dorfleben der Baie Marigot, die imposanten Kokospalmen in der Baie de Pompierre und die abgeschiedene Wildnis der Grande Anse. Die Leguane und die streunenden Ziegen lassen sich von den Gästen nicht aus der Ruhe bringen. Auch die sonst eher zurückhaltenden Inselbewohner zeigen sich erstaunlich offen, wenn sie direkt angesprochen werden und über das in vieler Hinsicht so andere Leben berichten können. Einige von ihnen, mit auffallend blonden Haaren und blauen Augen, erzählen von ihrer bunt gemischten Gemeinschaft, in der sich Fischer aus der Bretagne, der Normandie und aus dem Poitou mit schwarzem Blut gemischt haben und in der ein Kreolisch mit stark französischem Einschlag entstanden ist.
Im Schutz der Vulkane
Vor dem Wind zieht Lola Rasta Richtung Süden zu den imposanten Vulkanbergen von Basse-Terre. Die Leeküste von Guadeloupe erreicht man über den Canal des Saintes, in dem der Passat kräftig zulegt und das Wasser aufwirbelt. Turbulenzen sind hier keine Seltenheit, sie legen sich aber wieder, sobald man die Landspitze des Vieux-Fort hinter sich gelassen hat. Dort bilden mächtige Berge und vor allem der 1467 Meter hohe Soufrière ein Bollwerk, das die Winde grösstenteils bändigt und für ein angenehm ruhiges Meer sorgt. Manchmal gelingt es dem ablandigen Wind aber doch, sich durchzuschummeln und mit bis zu 30 Knoten böenartig übers Wasser zu peitschen. Die Fahrt unter dem Wind der Küste entlang gleicht einer gemütlichen Ausfahrt auf einem See. Wären da nicht die wild verstreuten und kaum gekennzeichneten Fischernetze, könnte man sich in dieser atemberaubenden Umgebung einfach zurücklehnen und die anmutigen Lichtspiele an den Berghängen bewundern.
Begegnungen mit anderen Booten sind selten. Das mangelnde Interesse an dieser schönen Insel hat mehrere Gründe. Zum einen steht sie im Schatten der vielbeworbenen Sehnsuchtsorte Marie-Galante und Saintes, zum anderen erschwert die endlose Panne der Zugbrücken über dem Rivière Salée die Zufahrt. Seit 2013 ist es nicht mehr möglich, zwischen Grande-Terre und Basse-Terre hindurchzusegeln. Wer nach Pointe-à-Pitre will, muss einen riesigen Umweg auf sich nehmen, der meist nur auf einem mindestens zweiwöchigen Törn machbar ist und gut geplant sein will. Wer es sich zeitlich leisten kann, hat die Liegeplätze praktisch für sich allein, denn hier verkehren praktisch nur Fahrtenboote. Absolut empfehlenswert sind die Anse à la Barque mit ihren unzähligen Regenbogen vor einer dramatischen Wolkenkulisse, die Pointe Mahaut und das nahe gelegene Cousteau-Reservat mit seiner faszinierenden Unterwasserwelt und das lebendige, einladende Dorf Deshaies im hintersten Winkel einer tief eingeschnittenen Bucht.
Da der Kanal Rivière Salée unbefahrbar ist, muss auch Lola Rasta auf einen Rundkurs verzichten. Mit Schlägen hart am Wind im kräftigen Passat geht es im Kielwasser zurück an den Ausgangspunkt.
Wir danken Alternative Sailing (www.alternative-sailing.com), dem Comité du Tourisme des îles de la Guadeloupe (www.lesilesdeguadeloupe.com) und Air France (www.airfrance.fr) für ihre Unterstützung.
Praktische Tipps
Anreise
Air France, Corsair und Air Caraïbes bieten zahlreiche Flüge ab Paris und Lyon an.
Beste Reisezeit
Hochsaison: sogenannter «Carême» (Fastenzeit) von Dezember bis April, trockener und weniger heiss, starker Nordostwind und aufgewühltes Meer. Nebensaison: Winterzeit (Mai bis November), vermehrt südliche und weniger starke Passatwinde. Man kann das ganze Jahr hindurch im T-Shirt und bei gutem Wind segeln.
Für massgeschneiderte Reisen und/oder Törns: my charter, info@mycharter.ch – mycharter.ch In Guadeloupe gibt es viele Charterfirmen. Dieser Törn wurde mit einem Boot von Alternative Sailing durchgeführt, das unter anderem schnelle Jachten anbietet.
Îles de la Petite Terre
Die Îles de la Petite Terre liegen in einem Naturreservat. Das Boot muss an einer der zwölf Ankerbojen festgemacht werden (20 €/Tag pro Boot und 2.50 € pro Person). Reservation: www.reservesdesiradepetiteterre.com
Marie-Galante
Neben der Anlegestelle können Autos gemietet werden. Kostenpunkt: rund 35 € pro Tag. Kulinarische Spezialitäten aus der Region wie Bélélé und Chaudage gibt es unter anderem bei Chez Henri in Saint-Louis. Reservation empfohlen.
Îles des Saintes
Kostenpflichtige und obligatorische Ankerbojen an den schönsten Liegeplätzen. Ein offizielles Schnellboot treibt die Gebühren ein (Hochsaison: 11 €/Tag für Boote zwischen 30 und 39 Fuss, 14 €/Tag für Boote zwischen 40 und 49 Fuss). Wie auf Marie-Galante sind Vermieter von Zweirädern und Kleinwagen leicht zu finden. Am besten erkundet man die relativen kleinen Inseln allerdings zu Fuss. Spezialitäten: Tourments d’Amour (Torte), Fisch-Crêpes und Fischsuppe.