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Reise ins Herz des äussersten Südens

von charlotte

Patagonien

Nao und Lauric haben Feuerland auf einer Dufour 35 erkundet. Eine ebenso faszinierende wie anspruchsvolle Reise auf den Spuren Magellan.

Patagonien ist keine Region, die man im Eiltempo durchquert, zumindest dann nicht, wenn man ihr wahres Wesen erleben will. Die von Gletschern geformten, windgepeitschten Fjorde und Kanäle verlangen viel Geduld. Hektik darf man an Bord einer 35-Fuss-Segeljacht aus GFK nicht aufkommen lassen, wenn man die Williwaws und das Eis unbeschadet überstehen und die unendliche Wildnis auf sich wirken lassen will. Freiheit bedeutet hier nicht, jederzeit und überall dorthin zu fahren, wozu man gerade Lust hat, sondern sich den Launen des Wetters zu fügen und sich seinem Rhythmus anzupassen. Im äussersten Süden Chiles muss man sich Zeit nehmen. Patagonien wäre vermutlich längst überlaufen, wenn es nicht so abgelegen wäre und das Wetter nicht die meisten Fernwehgeplagten fernhalten würde. Am südlichsten Zipfel des Kontinents, von Chiloé bis zum Kap Hoorn, reihen sich auf mehr als 1500 Seemeilen Tausende Inseln aneinander. Sie bilden ein Labyrinth aus Fjorden und Inseln, die den Naturgewalten hilflos ausgeliefert sind. Trotz ihrer wachsenden Bekanntheit wirkt die Region noch immer wie eine vergessene Welt. Meine Partnerin Nao und ich haben in den vergangenen vier Monaten 8000 Seemeilenzurückgelegt. Wir mussten uns beeilen, den Atlantik zu überqueren, um vor Wintereinbruch den Süden Chiles zu erreichen. Unsere Dufour 35 Tupaia brachte uns zuverlässig bis nach Puerto Williams, dem südlichsten Hafen Chiles. Nach der wochenlangen, vom Wetter diktierten Navigation, kräftezehrenden Wachen und viel zukurzen Stopps freuten wir uns darauf, einen Gang runterzuschalten, es endlich langsam angehen zu lassen und in aller Ruhe die Region zu erkunden.

Eis in Feuerland

Unsere Reise startet im Beagle-Kanal, in dem trotz seiner Lage «am Ende der Welt» im Sommererstaunlich viel los ist. Die Nähe zu Ushuaia lockt Chartersegler und Kreuzfahrtschiffe auf ihrem Weg in die Antarktis an. Doch ab April kehrt Ruhe ein. Die Tiefs des Sommers weichen stabilerem Wetter. Hochdrucksysteme aus dem Südpazifik und der Antarktis ziehen sich zurück und der Kanal, in dem sich in Feuerland normalerweise die Stürme entladen, wird breiter. Im Süden des Kontinents bildet sich dann ein Hochdruckgebiet, das das schlechte Wetter nach Norden oder Südenabdrängt, den Beagle-Kanal verschont und überraschend viele ruhige und sonnige Tage beschert. Im Winter sind die Tage kurz, aber grandios. Die Sonne geht weder richtig auf noch unter. Sie bleibt in der Schwebe, überfliegt knapp die gezackten Bergrücken der Cordillera Darwin und taucht die Landschaft in diffuses Licht. Wir sind zum ersten Mal in der Region und jeder Tag bringt neue Erfahrungen: die ersten Eiskristalle, die sachte gegen den Rumpf prasseln, den ersten Gletscher, der sich imposant vor uns aufbaut, den ersten Schneefall, die ersten Nächte bei Raureif – und dann den ersten Sturm.

In Deckung

Die Wollaston- und die Hermite-Inseln, auf denen sich das legendäre Kap Hoorn befindet, haben uns eindrücklich vor Augen geführt, woher die «Brüllenden Vierziger» ihren Namen haben. Acht Tage stecken wir in Puerto Maxwell fest. Kaum ist ein Tief vorbeigezogen, nähert sich schon das nächste. Jeden Morgen studieren wir die GRIB-Dateien in der Hoffnung auf eine Wetterberuhigung, doch jedes Mal werden wir enttäuscht. Im Westen bildet sich Tag für Tag eine neue Front. Unablässig fegen Williwaws über den Ankerplatz, peitschen Gischt auf und schütteln die Tupaia heftig durch. Wir wussten aber schon vorher, worauf wir uns einlassen. Sturmböen und der von ihnen entfachte Radau gehören hier zum Alltag. Sie sind auch nicht wirklich gefährlich, denn wir haben das Boot mit zahlreichen Landleinen gesichert. Für mich zählen diese Tage zu den eindrücklichsten Momenten dieser Etappe. Sie haben sich tiefer eingeprägt als die idyllischen Tage an den namenlosen Ankerplätzen rund um schneebedeckte Inseln oder die aufregende Umrundung des Kap Hoorn. Komplett von der Welt abgeschnitten zu sein und zu wissen, dass es keine Möglichkeit gibt, umzukehren und uns auch niemand erreichen kann, hat etwas Schwindelerregendes.

Als wir später die Westspitze Feuerlands umrunden, wird unser Vorsatz, Patagonien nicht nur als Abfolge von Herausforderungen zu sehen, auf eine harte Probe gestellt. Die Bedingungen verschlechtern sich zusehends. Die eisige Kälte dringt durch jede Faser, der Wind reisst nicht ab. Williwaws schleudern das Wasser wie in Rauchschwaden hoch. Sie sind so dicht, dass die Küstenlinien verschwimmen und sich die Landschaft in eine formlose graue, lärmende Masse verwandelt. Mitgerissen von den Böen steigen die von den Klippen herabfliessenden Wasserfälle in den Himmel. Als wir heilfroh die geschützte Caleta Brecknock erreichen, sehen wir das Ausmass der Schäden: Ein Unterwant ist defekt, Sturmfock und Gross sind zerrissen. Wir brauchen eine ganze Woche, um alles zu flicken. Seitdem macht die Tupaia neue Geräusche. Ihr Knacken klingt, als würden die tragenden Schotten müde seufzen. Wir lassen uns von der Kraftprobe nicht entmutigen. Im Gegenteil, sie macht uns entschlossener und erinnert uns daran, dass hier die Natur das Sagen.

Mythische Gewässer

Wer hier segelt, denkt unweigerlich an die unerschrockenen Seefahrer, die all die Wasserwege erschlossen haben: Magellan, FitzRoy, Martial, Sarmiento, Agostini und viele andere. Sie haben diese Küste nachhaltig geprägt. Heute erinnern die Namen von Wasserstrassen, Bergen und Buchten an die Entdecker. Wir fahren auf Höhe des Cabo Froward, dem südlichsten Punkt des amerikanischen Kontinents, in die sagenumwobene Magellanstrasse. Sie von Ost nach West zu durchqueren gilt als besonders schwierig. Hier kanalisiert die Meerenge die Nordwestwinde, der Gegenstrom bremst, die kurzen Wellen stoppen jeden Vortrieb. Hinzu kommt ein für den Saisonwechsel typisches Wetterphänomen. Plötzliche, heftige Platzregen, die Chubascos, machen die Navigation unberechenbar. Doch wir lassen uns Zeit, kreuzen langsam von einem Ufer zum anderen und kommen jeden Tag ein kleines Stück voran. In einem ganzen Monat sind uns nur drei ruhige Tage vergönnt. Es klingt verrückt, aber wir nutzen sie nicht, um uns auszuruhen, sondern für einen Abstecher zu einem spektakulären Gletscher und einem Ausflug zu einer Pinguinkolonie im Wald. Ansonsten segeln wir an guten Tagen mit 25 bis 30 Knoten Wind von vorne. An schlechten Tagen kommen wir nicht gegen den Wind an. Da wir uns ohnehin nicht von der Stelle bewegen würden, üben wir uns in Geduld und lassen die Böen vorbeiziehen. In dieser unwirtlichen Welt schenken uns die lokalen Fischer mit ihrer Freundlichkeit und Grosszügigkeit Trost. Wir suchen gerne das Gespräch. Trotz ihrer harten Arbeit laden sie uns auf ihr Boot ein, offerieren uns Mate und schenken uns Unmengen an Muscheln, Fisch, Centolla (Königskrabben) und Seeigel. Diese Begegnungen bereichern unsere Reise ungemein. Wir lauschen ihren Geschichten, erfahren viel über die Region und die Menschen und erhalten wertvolle Tipps für Ankerplätze und sehenswerte Orte.

Entlang der Eisfelder

Die Durchquerung der Region Última Esperanza ist einer der wenigen Momente, in denen der Wind uns in die richtige Richtung schiebt. Nach zwei Wochen, in denen wir hart am Wind im Dauerregen gesegelt sind, geniessen wir die Verschnaufpause besonders. Das Revier zwischen den feuchten Fjorden Westpatagoniens und den endlosen Weiten Argentiniens ist landschaftlich umwerfend. Wir können uns nicht sattsehen und bleiben ganze 50 Tage. Nach einem Proviantstopp in Puerto Natales und einem Express-Trip nach Argentinien zur Visaverlängerung brechen wir schliesslich am ersten Weihnachtstag wieder auf. Nun herrscht typisches Sommerwetter mit Nordwestwind, wolkenverhangenem Himmel und fast täglichem Nieselregen. Drinnen bleibt nichts trocken. Draussen ist die Natur mit Wasser gesättigt, der Moosteppich vollgesogen wie ein Schwamm. Es wachsen immer mehr Zypressen und die Scheinbuchenwälder werden höher und dichter.
Wir gönnen uns ein paar Abstecher in die Anden, wo schroffe Berge und enge Fjorde der Natur etwas Erhabenes verleihen. Als wir unsere ersten Südandenhirsche, die sogenannten Huemuls, sehen, erleben wir eine unserer Sternstunden. Besser kann es eigentlich nicht werden, glauben wir. Doch es folgt schon das nächste Highlight. Voller Vorfreude fahren wir in den Seno Eyro, wo sich der Pío-XI-Gletscher in seiner ganzen Grösse vor uns aufbaut. Er wirkt selbst vor der imposanten Kulisse gigantisch. Mit einer Länge von 65 Kilometern, einer Höhe von 60 Metern und einer Breite von 4,5 Kilometern ist er der grösste nichtpolare Gletscher Südamerikas. Vom Boot aus hören wir das trockene Krachen und das dumpfe Grollen des zum Meer Eisriesen. Wir lernen, an der Geräuschkulisse das bevorstehende Kalben zu erkennen. Das Krachen wird lauter, das Eis bewegt sich, dann bricht in ohrenbetäubendem Lärm ein gewaltiger Brocken ab und donnert ins Wasser..

Zehn Monate sind wir nun schon in Patagonien. Mit zunehmender Erfahrung dringen wir in kleinere Kanäle abseits der Hauptfahrrinnen vor. Beherzt wagen wir einen Umweg zu den nicht kartografierten, mit Eisblöcken gefüll- ten Fjorden im Osten und fühlen uns auf eine wunderbare Weise allein auf der Welt. Jeder Ankerplatz wirkt auf uns, als hätte er noch nie eine Menschenseele gesehen. Dass es uns mit unserer «Tupperware»-Jacht vergönnt ist, an diese einsamen Orte vorzustossen, empfinden wir als enormes Privileg.

Golf der Schmerzen

Der Golfo de Penas hat Symbolcharakter. Er trennt den Süden vom Norden und ist für alle Patagonienreisenden ein wichtiger Meilenstein – und eine Tortur. Sein Name sagt eigentlich schon alles: Meist ist das Wetter so rau, dass die Segelnden das Revier in einem Schlag durchqueren, um schnell wieder in die schützenden Kanäle zu gelangen. Über dieses sturmgeplagte Seestück gibt es daher auch kaum Berichte. Wir aber sind überzeugt, dass wir dem Gefühl der damaligen Forschungsreisenden, die ohne jeglichen Anhaltspunkt die Region erkundeten, nirgendwo so nahekommen werden wie hier. Und wir haben Glück. Ein grosses Wetterfenster tut sich auf und schenkt uns zwanzig Tage, in denen wir unsere Entdeckerlust ausleben können. Wir stossen auf riesige weisse Strände, hinter denen dunkelgrüne Wälder wachsen. Die Landschaft erinnert uns an den Nordosten Australi-ens, mit dem Unterschied, dass hier schneebedeckte Berge für ein paar Pinselstriche mehr sorgen. Im Norden des Golfes ragt die Halbinsel Taitao ins Meer hinaus. An diesem abgelegenen Flecken Erde hat ein Tief dieses Jahr alle Rekorde gebrochen. Die Leuchtturmwächter am Cabo Ráper sind noch immer dabei, nach dem Spuk das Dach zu reparieren. Sie erzählen uns, dass der Wind mit 97 Knoten über die Region gefegt ist. In einer der wenigen geschützten Buchten an dieser wilden Küste verbringen wir eine ganze Woche und kundschaften jeden Winkel aus. Wir finden unzählige Locos-Bänke (köstliche chilenische Seeohren), einen Surfspot und heisse Quellen mit genau der richtigen Temperatur. Der Golf von Penas, wie im Übrigen ganz Patagonien, hat weit mehr zu bieten als Schauermärchen von gefährlichen Durchquerungen und tragischen Kenterungen. Er birgt Landschaften imponierender Schönheit und Wildnis, die in jedem von uns den Entdeckergeist wecken.

Das Herz an den Süden verloren

Nach so vielen Tagen, an denen wir uns nach dem Wind gerichtet, Karten studiert und der Stille der Fjorde gelauscht haben, fällt es uns schwer, das Leben auf dem Wasser hinter uns zu lassen. Wie lange wir noch auf den Meeren unterwegs sein werden, wissen wir nicht. Erst einmal geht es in 40 Tagen nach Französisch-Polynesien. So ereignisreich unsere Reise auch war, sie bot lediglich einen Vorgeschmack auf das, was das Leben zu bieten hat. Wir sind in eine intakte Natur eingetaucht, haben unglaublich intensive Momente erlebt und auf jeder Seemeile die Freiheit genossen.

Nützliche Infos

In Patagonien kann man grundsätzlich das ganze Jahr segeln, doch die Bedingungen variieren je nach Region und Jahreszeit. Im Norden, zwischen Puerto Montt und der Region Aysén, liegt die beste Reisezeit zwischen November und Februar. Dann herrscht auf der Südhalbkugel Sommer, das Wetter ist mild, es regnet seltener und es treffen weniger Stürme aus dem Pazifik auf die Küste. Weiter südlich, insbesondere in Feuerland, sind die Tage im Herbst, von April bis Juni, am stabilsten. Dann ist der Wind zudem moderater und das Licht von besonderes Schönheit. Der Winter beginnt früh und viele Ankerplätze sind schnell zugefroren. Die Übergangszeiten von März bis April und von September bis Oktober sind unbeständig und wechselhaft. Zwischen Puerto Montt und Puerto Chacabuco gibt es eine relativ gute Infrastruktur. In mehreren Küstendörfern kann getankt und der Proviant aufgefüllt werden. Je weiter man nach Süden fährt, desto dünner gesät sind die Versorgungsmöglichkeiten. Oft muss man vom direkten Kurs abweichen, um Essbares zu finden. Am ehesten wird man in Caleta Tortel und Puerto Natales fündig, sie liegen allerdings weit abseits der Route. Der einzige Ort, an dem man ohne Umweg Lebensmittel bunkern kann, ist Puerto Edén, etwa auf halbem Weg zwischen Chacabuco und der Magellanstrasse. Allerdings kann man sich nicht darauf verlassen, dass das Benötigte vorrätig ist. In Punta Arenas, Ushuaia und Puerto Williams sind Treibstoff, Lebensmittel und Material dann wieder in ausreichender Menge vorhanden. Man kann sich auch vorbestellte Ware dorthin liefern lassen. Reparaturen sind in den meisten Städten möglich, auch wenn die Werkstätten nicht immer für Segelboote ausgerüstet sind. Wer sich in abgelegenere Regionen wagt, sollte den technischen Bedarf daher also frühzeitig planen. Für eine längerfristige Liegeplatzlösung bieten Valdivia und Puerto Montt gut ausgebaute Häfen mit umfassender Infrastruktur. Weiter südlich kommen nur Ushuaia und Puerto Williams infrage. Dort muss man sich allerdings mit einem schlichteren, aber zuverlässigen Service begnügen.

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