Text: Patricia Oudit
Die Arkea Ultim Challenge war keine banale Einhand-Weltumsegelung. Das erste Solo-Nonstop-Rennen der Monster-Trimarane entpuppte sich als verrücktes Abenteuer einer Handvoll Pioniere, die sich unerschrocken ins Ungewisse stürzten.
Am Dienstag, dem 27. Februar, grinste ein Mann im gelben Ölzeug unter wolkenverhangenem Himmel um Punkt 8:37:42 Uhr in die dicht gedrängte Zuschauermenge, die sich im Hafen von Brest eingefunden hatte. Nach 50 Tagen, 19 Stunden, 7 Minuten und 42 Sekunden am Steuer des Maxi Edmond de Rothschild bekam Charles Caudrelier zum Klang des von ihm selbst ausgewählten Songs Don’t stop me now von Queen wieder festen Boden unter den Füssen. Stoppen musste er aus wettertechnischen Gründen aber dennoch zweimal. Ein erstes Mal liess er vor dem Kap Hoorn einen Sturm vorbeiziehen, ein zweites Mal suchte er auf den Azoren Schutz vor einem Tief. Obwohl er auf seinem 32 Meter langen, 23 Meter breiten und bis zu 50 Knoten schnellen Foiler-Trimaran tagelang feststeckte und fünf Tage länger brauchte als geplant, gewann er das Formel-1-Rennen der Meere souverän. Caudrelier, der am Vortag seinen 50. Geburtstag gefeiert hatte, fand als gewiefter Stratege genau die richtige Mischung aus Risikobereitschaft und konservativem Segeln, um die 40 000 Kilometer von West nach Ost über das Kap der Guten Hoffnung (Südafrika), das Kap Leeuwin (Australien) und das Kap Hoorn (Chile) als Sieger zu beenden.
Havarien in Serie
Das Sprichwort «Gut Ding will Weile haben» hat einmal mehr seine Richtigkeit bewiesen. Wie sich gezeigt hat, ist Erfahrung unersetzlich, und davon hat Caudrelier reichlich. Seinen ersten grossen Erfolg feierte er zwar erst mit 30 an der Solitaire du Figaro 2004, anschliessend holte er aber rasant auf, gewann sowohl 2011/2012 als auch 2017/2018 das Volvo Ocean Race und trat 2019 dem im Jahr 2000 gegründeten Rennstall Gitana der Schweizer Bankiersfamilie Rothschild bei. An der Arkea Ultim Challenge spielte der Sieger der Route du Rhum 2022 erfolgreich auf Zeit. Er startete rasant ins Rennen und segelte tagelang praktisch Seite an Seite mit dem 26-jährigen Tom Laperche, der ihm hartnäckig Paroli bot. Dann aber kollidierte der Flottenbenjamin mit einem unbekannten Objekt, das den Mittelrumpf des SVR Larzartigue so stark demolierte, dass Laperche aufgeben musste. Caudrelier nutzte die Gunst der Stunde und baute den Vorsprung auf die restliche Flotte geduldig aus. Havarien gab es an der Regatta zuhauf, immer wieder erwiesen sie sich als Spielverderber. Armel Le Cléac’h auf Maxi Banque Populaire XI musste im brasilianischen Recife für die Reparatur eines Foils, des Gennakers und des Bugkorbs einen Pitstopp einlegen. Anthony Marchands Actual 3 erlitt einen schweren Schaden am Backbordfoil und auf Eric Pérons Adagio ging das Ruderblatt an Steuerbord und das Steuersystem zu Bruch. Thomas Coville auf Sodebo 3 musste Hobart auf Tasmanien ansteuern, weil am Mittelrumpf ein Teil des Bugkorbs abgerissen war. Währenddessen zog der Skipper des Gitana-Rennstalls auf seinem Ultim davon. Er sei zu einer Art «Maschine, einem auf Leistung getrimmten Roboter mit Killerinstinkt geworden, der um jede Seemeile kämpft», sagte er im Ziel.
Mit den Beinen in der Luft
Obwohl Caudrelier nahezu einen Start-Ziel-Sieg hinlegte, war seine Fahrt alles andere als ein Sonntagsspaziergang. Er überquerte zwar den Indischen Ozean in der für Einhandund Multihull-Segler neuen Rekordzeit von 8 Tagen und 8 Stunden, aber auch ihm setzte das Wetter arg zu. Zeitweise glich der Ozean einem Minenfeld und sein Boot blieb wie das seiner Gegner nicht verschont. Am vierten Tag klaffte plötzlich ein Loch in der vorderen Verkleidung und nach der Umrundung des Kap Hoorns riss das Grosssegel, für dessen Reparatur er zehn Stunden benötigte. Es gab Momente, da packte den Franzosen die schiere Angst. Das erste Mal im Südpolarmeer, als eine Welle ein 2 x 1 Meter grosses Loch ins Cockpit riss, durch das er direkt aufs Wasser blickte. «Ich hatte mich so daran gewöhnt, daran vorbeizugehen, dass ich es einmal komplett vergass und plötzlich mit beiden Beinen in der Luft hing. Zum Glück bekam ich ein Seil zu fassen und konnte mich raufziehen.» Einen weiteren Schreckensmoment erlebte er in den Doldrums. Er hatte sich hingelegt, als ein heftiger Sturm seinen Trimaran zur Seite drückte. Er erwachte unsanft «bei 41 Grad, an der Grenze zum Kentern», erinnert er sich. Und dann verletzte ihn ein Windrad auch noch am Arm. Der Unfall hätte böse enden können, er hatte aber offensichtlich das Glück des Tüchtigen.
Abenteuer mit Opfern und Schmerz
Kurz vor dem Start am 7. Januar in Brest meinte Eric Péron, der als einziger mit einem Boot ohne Foils antrat: «Die Weltumsegelung ist weniger ein Rennen als ein Abenteuer. Niemand weiss, wer es ins Ziel schafft.» Wer hätte bei so vielen Unbekannten damit gerechnet, dass Péron im Pazifik schneller sein würde als der Sieger? Wer hätte darauf gewettet, dass Charles Caudrelier einen so fehlerfreien Kurs hinlegen würde? Und wer hätte vorausgesagt, dass die Hightech-Wunder, auf denen die Skipper nur in 20-Minuten-Tranchen vor sich hindösen können und das kleinste Manöver vierbis fünfmal länger dauert als auf «normalen» Booten, allen Havarien zum Trotz 50 Tage und länger durchhalten? Die Herausforderung ist gigantisch. Sie setzt den Booten zu, «aber lässt die Menschen in die Geschichte eingehen», wie es der zu Tränen gerührte Thomas Coville zusammenfasste. Er erreichte das Ziel nach einer komplizierten Fahrt durch die Biskaya nach 53 Tagen, 1 Stunde, 12 Minuten und 40 Sekunden als Zweiter, zwei Tage nach dem Sieger. Für den 55-jährigen Coville war es bereits die neunte Weltumsegelung, seine siebte mit einem Mehrrumpfboot und seine fünfte im Alleingang – ein absoluter Rekord für diesen Bootstyp. Er weiss besser als jeder andere, was es bedeutet, eine Weltumsegelung wie diese zu wagen. «Es reicht nicht, über sich selbst hi- nauszuwachsen. Wir nehmen Schmerz in Kauf, opfern uns auf, entdecken aber auch viel Neues», meinte der Skipper des Sodebo 3. Das wird ihn vermutlich nicht davon abhalten, in vier Jahren in die zweite Runde zu gehen.