28 Grad im Schatten und wolkenloser Himmel: Der Indian Summer hat Sevilla fest im Griff. Am Ufer des Guadalquivir herrscht hektisches Treiben gemischt mit banger Vorfreude. Die Atmosphäre ist typisch für die letzten Stunden vor lebensprägenden Momenten. 32 Jachten befinden sich in den Startlöchern, um im Rahmen der Grand Large Yachting World Odyssey 500 auf den Spuren von Ferdinand Magellan um die Welt zu segeln. Die Rallye wurde von Jimmy Cornell ins Leben gerufen und verspricht den Teilnehmenden unvergessliche Erlebnisse. Mit dabei ist auch Vincent Jeanneret aus Neuenburg auf seinem Outremer 51 Crazy Flavour.
Text: François Tregouet
Vincent Jeanneret begrüsst uns in Shorts, einem T-Shirt mit dem Namen seines Kats und Flip-Flops. Die Klientel des pensionierten Genfer Anwalts würde ihn vermutlich nicht wiedererkennen. Seit er sich aus dem Erwerbsleben verabschiedet hat, ist er gelassener geworden. Wir wollen von ihm wissen, ob er 2014, nach seinem «kleinen gesundheitlichen Problem», wie er es nennt, auf die Idee zu dieser Weltumsegelung gekommen sei. Er schüttelt den Kopf. Das sei lediglich ein Warnschuss gewesen, auf den er gehört habe. «Es war an der Zeit, kürzer zu treten.» Mit dem Gedanken dazVg Didier Hillaire ran habe er schon viel länger gespielt. Als 25-Jähriger kaufte er zusammen mit seinem besten Freund eine Dufour 31, mit der sie ein Jahr lang durch das Rote Meer und das östliche Mittelmeer kreuzten. Nach seiner Rückkehr begann er sein Anwaltspraktikum. Mit seinen Gedanken sei er noch auf dem Meer gewesen, erinnert er sich. «Ich habe mich wirklich gefragt, was ich in dem Büro sollte.» Er schwor sich, später erneut in See zu stechen und konnte auch seine künftige Frau von seinem Vorhaben begeistern. «Sobald die Kinder selbstständig sind und das Haus abbezahlt ist, werden wir unseren Traum verwirklichen!»
Träume ausleben
Tatsächlich hat das, was Vincent gerade erlebt, Züge eines Wachtraums. Trotzdem hat er an Bord alles im Griff. Fachmännisch trimmt er den Kat und feilt ständig daran herum. Er kennt sich mit Booten aus, schliesslich hat er lange auf dem Genfersee regattiert, zunächst auf 420ern, dann auf Surprise. Wie viele Bol d’Or Mirabauds er bestritten hat, weiss er nicht mehr. Die Fahrt von La Grande Motte nach Sevilla hat ihm die nötige Sicherheit gegeben. Das Boot ist startklar und auch er fühlt sich bereit. Falls nötig werde er das Segel nachts vorbeugend reffen, sagt er. Nicht einmal die kleine Computerpanne kurz vor dem Startschuss konnte ihn aus der Ruhe bringen. Das Leben ohne Uhr hat ihn verändert. Er nimmt die Dinge, wie sie kommen. Auf dem Boot wurden die wichtigsten Arbeiten erledigt: Das laufende Gut wurde ausgewechselt und das acht Jahre alte Grosssegel ausgetauscht.
Ein Lernprozess
Vincent hat das Boot vor sechs Jahren gekauft und sich die Zeit genommen, sich richtig vorzubereiten. Er hat gelernt, Motoren zu warten und das Boot instand zu halten. Und er hat Erste-Hilfe-, Kommunikations- und Wetterkurse belegt. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Er sei «ziemlich bereit», schätzt Vincent sein Niveau ein, auch wenn Intellos wie er und seine Frau weniger gut gerüstet seien, auf Probleme zu reagieren, als andere, die ihr ganzes Leben mit Technik zu tun hatten. «Eine Richterin und ein Anwalt sind nicht unbedingt die besten Leute, um ein Boot zu reparieren!», erklärt er lachend. Er wird improvisieren. Vincent ist von jenem Schlag Menschen, die viel wissen, sich in ihrer Bescheidenheit aber nicht damit brüsten. «Wir sind vorher noch nie ausserhalb des Mittelmeers gesegelt, daher werden wir jeden Tag dazulernen», meint er vorausschauend.
Warum will er sich mit seiner Erfahrung und einer so minutiösen Vorbereitung einer Rallye anschliessen, statt alleine zu segeln? Vincent und Fabienne hat der Rhythmus der im Voraus bekannten Zwischenstopps zugesagt, denn so konnten sie sich mit ihren Angehörigen organisieren. Bis Bora Bora sind die Ablösungen mit Familienmitgliedern und Freunden bereits geplant. Ein Freund hat ein dreimonatiges Sabbatical genommen, um mit ihnen von Panama nach Tahiti zu segeln. Sie werden immer mindestens zu dritt an Bord sein, schliessen aber nicht aus, dass sie mit steigendem Selbstvertrauen ein Paar Etappen zweihand absolvieren. Die technische Unterstützung durch die Werft gibt ihnen zusätzliche Sicherheit. Ein weiterer grosser Vorteil des Flottillensegelns sei der psychologische Aspekt, so Vincent: «Auf langen Überfahrten, vor allem auf dem Pazifik, ist es gut zu wissen, dass du nicht allein bist.»
Im Tempo von Grand Large Yachting
Die Teilnahme an der GLY World Odyssey 500 ist also genaustens durchdacht und geplant. Zum Glück ist das Leben aber immer gut für schöne Überraschungen. Vincent und Fabienne schwärmen vom guten Teamgeist innerhalb der Flotte. Die Teilnehmer seien hilfsbereit, tauschen sich gegenseitig aus und gehen aufeinander zu. Sie selbst fühlen sich in der Gemeinschaft sehr wohl. Diese sei viel harmonischer, als man in Anbetracht der 20 vertretenen Nationalitäten vermuten könnte. Sie werden die kommenden Monate deshalb auch in vollen Zügen geniessen. «Wir wissen, dass wir uns glücklich schätzen können», versichern sie. Vincent bezeichnet die von Jimmy Cornell und Grand Large Yachting geschriebene und von Céline und Victor vertonte Partitur als ausgezeichnet. Sie biete viel Flexibilität und sei eine perfekte Mischung aus Unabhängigkeit und dem nötigen Mass an Koordination.
Bevor sie die ersten 700 Meilen zu den Kanaren unter die Buge nehmen, möchte Vincent noch zwei Botschaften loswerden: «Abgesehen vom finanziellen Aspekt kann jede und jeder ein solches Projekt umsetzen. Es ist alles eine Frage der Einstellung und hängt ganz davon ab, was man aus seinem dritten Lebensabschnitt machen will. Ausserdem ist die Fortbewegung allein durch Windkraft umweltfreundlich.» In seiner Sorge um unseren Planeten geht er mit gutem Beispiel voran.
Verfolgen Sie Vincents Abenteuer auf seinem Blog crazyflavour.ch, in dem er regelmässig über seine Erlebnisse berichtet. Infos zur Rallye: galy-world-odyssey.com