Der Schweizer Challenger Alinghi Red Bull Racing hat uns Mitte Oktober seine Basis in Barcelona gezeigt. Wir konnten uns dabei ein Bild über das pharaonische Projekt machen und einen Eindruck von den Anfängen des AC75-Teams erhalten, das sich in einem rasanten Wettlauf gegen die Zeit befindet. Arnaud Psarofaghis, frischgebackener Vater und Steuermann der AC75, hat mit uns über seine ersten Eindrücke gesprochen.
Interview : Quentin Mayerat
Was hat sich konkret verändert, seit Alinghi Red Bull Racing seine Basis in Barcelona bezogen und die erste AC75 erhalten hat?
Als grösste Veränderung würde ich bezeichnen, dass wir in Bezug auf Professionalität, Entwicklung und Detailversessenheit die nächste Stufe erreicht haben. Das Tolle an einem Cup ist der Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Abteilungen und der ständige Austausch mit ihnen. Es herrscht allgemeiner Konsens, dass jede Idee berücksichtigt und analysiert werden muss. Hier ist jeder ein Experte auf seinem Gebiet. Wir haben das Glück, dass wir mit Fachleuten arbeiten können, die wir an anderen Regatten nie getroffen hätten. Mit den Mitgliedern unsers Designteams könnte man eine Rakete auf den Mond schicken!
Sie sind jetzt schon einige Male auf dem BoatZero gesegelt. Wie waren Ihre ersten Eindrücke? Woran werden Sie mit der Crew arbeiten müssen, um Chancen zu haben?
Was mich schon bei den ersten Schlägen überrascht hat, ist die Kraft des Bootes. Am beeindruckendsten ist die AC75 am Wind. Man spürt, welch enorme Ressourcen in ihr stecken. Sie beschleunigt extrem schnell und erreicht ein unglaubliches Tempo. Das macht die Navigation richtig brutal. Trotzdem muss man die AC75 sehr feinfühlig und mit viel Einsatz segeln. Die Steuerung und der Trimm sind ein Balanceakt. Man muss angreifen, ohne es zu übertreiben und befindet sich ständig auf der Kippe. Um erfolgreich zu sein, muss man das Boot unter allen
Bedingungen beherrschen und an den Manövern, am Kurshalten und an den Übergängen arbeiten. Wir stehen am Anfang des Lernprozesses und sind erst sieben Tage gefoilt (Anm. d. Red.:
Mitte Oktober zum Zeitpunkt des Interviews). Jede Minute auf dem Wasser bringt uns neue Erkenntnisse.
Wir haben gerade Ihr erstes Jibe-Foiling auf dem Wasser gesehen. Was braucht es, um ein solches Manöver auf einer AC75 erfolgreich durchzuführen?
Bei der ersten Jibe kommt es auf eine ganze Menge Details an, die man im richtigen Moment umsetzen muss. Es ist eine Teamleistung mit Dominoeffekt, bei der sich zeigt, ob man harmoniert. Die erste Jibe ist die schwierigste, das Manöver gehört aber zum Standard, denn alle unsere Jibes müssen fliegend erfolgen. Das Manöver muss zum Automatismus werden. Die Topleistung von heute muss morgen die Norm sein. Das Lernen erfolgt in kleinen Schritten, die wir fein säuberlich aneinanderreihen. Bestimmt werden wir aber weniger Zeit brauchen, bis wir die AC75 im Griff haben, als das beim GC32 der Fall war. Dort ist uns der erste foilende Jibe erst nach einem Jahr gelungen.
«Mit den Mitgliedern unsers Designteams könnte man eine Rakete auf den Mond schicken!»
Wie beurteilen Sie Ihre Leistung? Schliesslich hat keiner von Ihnen America’s-Cup-Erfahrung.
Es gibt zwei Möglichkeiten, die Leistung zu bewerten: Zum einen anhand von Daten, denn Zahlen lügen nicht, zum anderen anhand des Gefühls, das sich nicht beziffern lässt. Wir wissen aber, wie wir segeln wollen. Dafür stellen wir uns jeden Tag in Frage und setzen uns Ziele. Wir können uns während der Qualifikationsregatten des Cups mit den anderen Teams messen und werden uns bis zum letzten Regattatag weiterentwickeln.
Wie sieht das Trainingsprogramm der Segelcrew aus?
Und welche Rolle spielen Sie im Team?
Wir trainieren sehr intensiv, langweilig wird uns nicht. Ich bin dafür zuständig, das Team zusammenzuhalten, den Designern Feedbacks zu geben und daran zu arbeiten, die Gruppe zusammenzuschweissen. Ausserdem muss ich dafür sorgen, dass an Bord alle sicher sind und dazulernen.
Fast alle Ihre Gegner haben Segler mit grosser Olympia- oder America’s-Cup-Erfahrung in ihren Reihen. Bereuen Sie es manchmal, dass Sie nicht den klassischen Weg eingeschlagen haben?
Wir sind so etwas wie Novizen in diesem Universum und haben nicht die Erfahrung unserer Konkurrenten, müssen uns aber dennoch nicht verstecken. Jimmy Spithill zum Beispiel kommt im Gegensatz zu vielen anderen nicht aus dem olympischen Segelsport. Er war noch sehr jung, als er den ersten Cup gesegelt ist, und ist in dieser Szene grossgeworden. Es gibt keine vordefinierte Laufbahn und für alles ein erstes Mal. Wir haben das Glück, Teil dieses Teams zu sein und täglich mit sehr fähigen Leuten zusammenzuarbeiten. Und wir haben alle Trümpfe in der Hand, um uns zu verbessern.
Welche Begegnungen haben Sie am meisten geprägt?
Mehr als Personen beeindruckt mich der dynamische Informationsaustausch. Man kann mit jedem über alles diskutieren. Abgesehen davon, dass es sich um Arbeitskollegen handelt,
sind die Menschen offen und freundlich. Bei uns ziehen alle am gleichen Strang. Diese Art zu arbeiten habe ich bei Alinghi schon immer erlebt und ich kann mir nicht vorstellen, dass
es bei Alinghi Red Bull Racing anders wird. Es ist mehr als ein Job, es ist ein Lebensstil. Man lebt für dieses Projekt.
Sie sind gleichzeitig Vater und Skipper eines Schweizer Challengers geworden.
Hat das Ihr Leben verändert?
Ja, beide Ereignisse stellen das Leben auf den Kopf und nehmen viel Zeit in Anspruch. Ich bin ein ebenso leidenschaftlicher Vater wie Skipper. Beides verändert den Alltag und hilft, morgens aufzustehen.