Das vergangenen Winter eingewasserte 100-Fuss-Geschoss von Lindsay Owen-Jones kommt ohne Verbrennungsmotor aus. Skippers konnte die schnittige Maxi-Jacht diesen Frühling vor St. Tropez testen.
Wie in einem Märchen aus 1001 Nacht schiesst die 37 Tonnen schwere Magic Carpete bei zehn Knoten Wind mit 15 Knoten übers Wasser. Hohes Gross, Genua 2, Fock 2: Die Maxi-Jacht hat ihre Medium-Segel gehisst, insgesamt tausend Quadratmeter Carbontuch. Schon bei der kleinsten Ruderbewegung reagiert das Boot blitzschnell. Die Winschen pfeifen, die elektrischen Pumpen des Schwenkkiels heulen. Nur das typische Brummen des Dieselmotors fehlt. Fünfzehn gleichmässig auf die Luvschiene verteilte Crewmitglieder warten konzentriert auf die Anweisungen des Skippers. Im Achterschiff gibt mir Lindsay Owen-Jones wertvolle Tipps. Dreissig Jahre als Skipper von Maxis haben ihn sein Handwerk gelehrt. Der französischste aller britischen CEOs ist seit 2011 pensioniert. Er machte L’Oréal nach der Jahrtausendwende zum Weltkonzern und wurde von der Queen mit der Ehrenlegion ausgezeichnet. Auch während seiner beruflichen Karriere lebte Sir Lindsay seine sportliche Leidenschaft stets auf höchstem Niveau aus. Als Autorennfahrer fuhr er mit seinem McLaren bei den 24 Heures du Mans 1996 auf den fünften Platz. Auf dem Meer ersegelte er mit seinen Jachten zahlreiche Siege, so an der Giraglia oder an den Voiles de Saint-Tropez. Heute, mit knapp 80 Jahren, ist Sir Lindsay noch immer topfit und sportlich aktiv. Magic Carpete ist sein vierter fliegender Teppich. Er gehört mit seinen 100 Fuss Länge zur prestigeträchtigen Kategorie der Wallicento. Sir Lindsay ist ein angefressener Regatteur, mag aber auch gemütliche Törns mit Freunden und Familie. Die neue Jacht sollte daher beiden Ansprüchen gerecht werden: sportlich und gleichzeitig komfortabel sein. Axel de Beaufort hat das Innere entsprechend elegant und wohnlich gestaltet.
Energieautonomie
Zu diesen beiden Anforderungen kam eine dritte hinzu: Die Jacht sollte energieautonom sein. Eine Batterieladung, sprich fünfstündiges Aufladen im Hafen, sollte für einen Regattatag reichen. Auf der Magic Carpete werden alle Manöver elektrisch ausgeführt, angefangen beim Kiel. Er wurde von Guillaume Verdier entworfen und in der Werft Persico gebaut. Das technische Meisterwerk lässt sich um 45° schwenken und hinten anheben, wodurch sich der Tiefgang der neun Tonnen schweren Bombe in Sekundenschnelle von 7,1 auf 4,6 Meter verringert. Ein 5,5 Meter langes Schwert verhindert das Abdriften.
Wahrzeichen
Langsam verblasst der rot-gelbe Kirchturm von St. Tropez im Kielwasser. Die Maxi-Jacht ist das ganze Jahr im südfranzösischen Promi-Dorf stationiert und neben der Statue von Brigitte Bardot und der Gendarmerie aus den Louis-de-Funès-Filmen längst fester Bestandteil des Ortsbilds. Sir Lindsay lebt heute zwar in Lugano, bleibt seinem Heimathafen und seinen Team-mitgliedern aber treu.
Dreamteam
An diesem Aprilsonntag sticht die Magic Carpete zu einer Probefahrt in See. Skipper Danny Gallichan ist seit 1995 an der Seite von Sir Lindsay und kennt alle Magic Carpets gut. Mit der Fernbedienung stellt er den Kiel ein, hebt das Ruderblatt im Luv und justiert das Schwert. «Das Schwert ist mit einem Ruderblatt im Bug vergleichbar», erklärt er. «Es lässt sich schwenken, damit es immer senkrecht im Wasser steht.» An Deck koordiniert Projektmanager Edward Bell die Manöver, während Marcel van Triest unter Deck auf seinen Bildschirm schaut. Der Elitesegler und anerkannte Meteorologe hat schon zahlreiche IMOCA-Jachten gesteuert und war als Stratege beim Ocean Race und als Router an der Jules Verne Trophy dabei. Für Regatten holt Sir Lindsay zudem jeweils Francesco de Angelis an Bord, der im Jahr 2000 mit Luna Rossa den Louis Vuitton Cup gewann. Die Magic Carpete verlässt den Golf von St. Tropez und nimmt bei leichter Frühlingsdünung Kurs ostwärts. Trotz ihrer Grösse reagiert sie erstaunlich schnell und direkt auf Steuerbewegungen, weshalb viel Fingerspitzengefühl und Präzision gefragt sind. Falsche oder zu heftige Impulse fordern sofort ihren Tribut. Die meiste Zeit – vor allem bei Regatten – steuert Sir Lindsay die Jacht selbst. Er freut sich auf das Kräftemessen mit den anderen 100-Fuss-Maxis, weil er selbst an der Entwicklung der Cento-Reihe beteiligt war. Besonders gespannt ist er auf das Wiedersehen mit seinem alten Boot, der Wally Magic Carpet 3 (Cubed).



Fliegende Teppiche
Die Dynastie der Magic Carpets wurde 1997 begründet. Da die von ihm begehrte Genie of the Lamp bereits verkauft war, gab Sir Lindsay bei Luca Bassani eine «innovative, stilvolle, konkurrenzfähige und angenehme Jacht» in Auftrag. Achtzehn Monate später lief die erste Wally vom Stapel. Eine Revolution! Auch die beiden Nachfolger trugen die Handschrift der italienischen Werft. Die vierte Konstruktion ist keine Abkehr vom Wally-Stil, sondern eine klare Weiterentwicklung. Er sei ein grosser Bewunderer von Luca Bassani, beteuert Sir Lindsay. Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Wally-Produktion ist heute standardisierter, Forschung und Prototypen sind in den Hintergrund gerutscht. «Ich hätte das Alte modernisieren und das Boot leichter machen können, aber manchmal muss man das Bestehende komplett in Frage stellen, um innovativ zu sein. Dieses Risiko muss man eingehen», befindet Sir Lindsay Owen-Jones.
Magic Carpet e und die vierzig Energieräuber
Im modernen Segelsport ist Energie zu einem Kernthema geworden. Das zeigte sich schon am America’s Cup und bestätigt sich bei den Maxis. Mit drei elektrischen Pumpen, komplexen Hydrauliksystemen, einem neun Tonnen schweren Schwenkkiel, einziehbaren Rudern und riesigen Winschen muss die Magic Carpete vierzig Energieräubern gewachsen sein. Guillaume Verdier sollte es richten. Er scharte die besten Fachleute um sich und entwarf gemeinsam mit ihnen ein energieeffizientes, möglichst leichtes Boot ohne Verbrennungsmotor. Jedes Kilo zählte, vor allem das Gewicht der Batterien sollte auf ein Mindestmass beschränkt werden. Wog die Magic Carpet 3 bei ihrem Stapellauf im Jahr 2013 noch stattliche 47 Tonnen, bringt die Magic Carpete bei gleicher Länge zehn Tonnen weniger auf die Waage. Die billigste Energie ist ja bekanntlich die, die man nicht verbraucht. Die Wahl der italienischen Werft Persico drängte sich auf, denn sie kennt sich mit Energieoptimierung aus und bringt auch sonst viel Erfahrung mit. Von ihr stammen die America’s-Cup-Jacht Luna Rossa und die Ausleger der AC75. Und da alles, was vom America’s Cup kommt, eines Tages dorthin zurückkehrt, ist es vermutlich auch kein Märchen, dass die Ingenieure von Luna Rossa manchmal abends in den Hafenbars von St. Tropez gesichtet werden.


