Text: Gilles Morelle
Fotos: Dom Daher
Für seine Maturaarbeit untersuchte Yann Scussel auf den Fidschiinseln die Lebensweise und das Ökosystem der Haie. Dabei entdeckte er, wie gern er seine Erlebnisse mit anderen teilt. Vor allem aber erwies sich die Reise als wegweisend für seinen weiteren Werdegang. Andere an den Begegnungen mit den grossen Raubfischen teilhaben zu lassen, machte ihn glücklich. Dennoch wollte der junge Genfer mehr. Er setzte sich zum Ziel, die Öffentlichkeit für die Schönheit unseres Planeten sensibilisieren und das allgemeine Bewusstsein für die Dringlichkeit zu wecken, ihn zu schützen. In seinen ersten Jahren als Erwachsener rückte er mit verwegenen Aktionen in die mediale Aufmerksamkeit. Er durchquerte den Bosporus zwischen Europa und Asien schwimmend und ging auf den Bahamas mit Tigerhaien auf Tuchfühlung. Für diese starken Projekte brauchte er Partner, bei denen er mit gut dokumentierten Dossiers vorstellig wurde. Parallel dazu setzte er sein Studium in Kommunikation fort und absolvierte seinen Militärdienst. Im Mai dieses Jahres sprang Yann buchstäblich ins kalte Wasser und schwamm als erster Mensch ohne externe Hilfe in einem Zug die Rhone hinunter.
Yann Scussel kam im Rahmen seiner Maturaarbeit auf den Fidschiinseln zum Tauchen. Bei einem Tauchgang im Genfersee dann der Schock: Der Seegrund bei der Rhonemündung war mit Plastik übersät. Und auch an den Flussufern stapelte sich kiloweise Abfall. Für diese gut sichtbare Umweltkatastrophe gibt es nur einen Schuldigen: wir Menschen. Yann liess seine Bestürzung nicht einfach auch sich beruhen, sondern nahm sie zum Anlass einer verwegenen Idee: Er wollte die Rhone von der Quelle bis zum Genfersee wie ein Stück weggeworfenes Plastik mit dem Hydrospeed hinunterfahren. Um den Worten Taten folgen zu lassen, wandte sich Yann Scussel an den Hochgebirgsführer Claude-Alain Gailland. Der Spezialist für Extrem-Expeditionen war auch schon mit Mike Horn unterwegs. Bei Yann lag die Hauptschwierigkeit darin, dass er noch nie zuvor einen Hydrospeed benutzt hatte! Obwohl er ein sehr guter Schwimmer und durchtrainierter Sportler ist, war das körperlich höchst anspruchsvolle Gerät eine gewaltige Herausforderung. Seine Feuertaufe erlebte er am Tag vor dem Start, als er das Material auf seine Funktionstüchtigkeit testete. Viel Zeit, sich daran zu gewöhnen, blieb ihm also nicht. Als wäre das nicht schon schwierig genug, hatte sich das Duo vorgenommen, auf externe Hilfe zu verzichten und die 29-stündige Fahrt alleine zu bewältigen.
Das Leben fliesst nicht nur ruhig dahin
Die 158 Kilometer lange Höllenfahrt von der Rhonemündung 2209 m über Meer am Fuss des Rhonegletschers im Wallis bis zur Mündung am Genfersee hielt viele Überraschungen bereit. Im Mai führt die Rhone durchschnittlich 45 Kubikmeter Wasser pro Sekunde! An der Quelle übersteigt die Temperatur keine 4 Grad und steigt auch danach nicht über 8 Grad. 29 Stunden in so eiskaltem Wasser zu verbringen ist allein schon eine Topleistung. Der obere Rhoneteil gestaltet sich technisch sehr schwierig und ungemein kräftezehrend. Es gilt bei starker Strömung knifflige Schnellen zu bewältigen. Pausen sind selten und überall lauert Gefahr. Umso schöner präsentiert sich die Natur in dieser auf dem Landweg unzugänglichen Wildnis. Obwohl die Zivilisation nicht weit ist, fühlt man sich allein auf der Welt.
Kampf gegen die Kälte
Ab Oberwald wurde die Rhone korrigiert, einige Wildwasserabschnitte sind aber geblieben. Die Strömung nimmt ab, doch langsam dunkelt es ein. Es wird kälter und Müdigkeit macht sich breit. Um vor lauter Erschöpfung nicht unterzugehen, steigen Yann und Claude-Alain alle 45 Minuten aus dem Wasser und gehen 15 Minuten zu Fuss. Dabei können sie ihre unterkühlten Glieder etwas wärmen. Manchmal bleibt ihnen auch gar keine andere Wahl, weil nicht alle Flussstellen befahrbar sind. In der Nähe der Kraftwerke ist die Schifffahrt verboten. Die beiden Abenteurer nutzen die Intermezzos an Land, um sich mit den Bewohnern zu unterhalten. Das herzerwärmende Lächeln der Zufallsbekanntschaften gibt ihnen Mut. Während dieser Glücksmomente können sie zumindest vorübergehend vergessen, dass die Verschmutzung vor nichts Halt macht. Sie ist nicht nur sichtbar, sondern auch riechund hörbar, vor allem in der Umgebung von Fabriken in Ufernähe. Im Morgengrauen wird die Herausforderung vor allem mental. Ausgelaugt und mit schmerzenden Gliedern kämpfen sich die beiden durch die letzten Kilometer. Sogar Mike Horn, der das Abenteuer im Kajak gewagt hatte, musste nicht solche Qualen leiden. Nach 158 Kilometern erlöst sie das Naturschutzgebiet Grangettes von den Strapazen. Auf den ersten, sehr emotionalen Teil folgt sogleich ein zweiter: Yann Scussel will die Öffentlichkeit am Beispiel seiner Rhonefahrt für die Verschmutzung mit Plastikmüll sensibilisieren.
Und morgen?
Yann ist auch nach seiner Rhonefahrt nicht zu bremsen. Er sprudelt geradezu vor Ideen für sportliche Herausforderungen und Umweltprojekte, mit denen er das Bewusstsein der Menschen und vor allem der jungen Leute für die Zukunft unseres Planeten wecken möchte. Seine Botschaften vermittelt er über die Social Media, auf denen er über seine Abenteuer berichtet. 2021 will er den Kilimandscharo (5895 m) als erster Mensch vollkommen autonom besteigen. Die geplante Weltpremiere auf dem höchsten Gipfel Afrikas ist seine Art zu zeigen, dass sich Tourismus und Verantwortungsbewusstsein nicht ausschliessen. Was danach auf seinem Programm steht, verrät Yann nicht. Dass er Spannendes vorhat, steht angesichts seines Temperaments aber ausser Frage.