Interview : Pierre-Antoine Preti
Russell Coutts hat uns im Januar am Grand Prix von Abu Dhabi verraten, wie er die Zukunft der Foilerboote sieht und welche Herausforderungen auf den SailGP und den America’s Cups zukommen. Interview mit einem Visionär, der sein Fachwissen und seine Ideen gerne weitervermittelt.
Inwiefern haben Foilerboote den Segelsport verändert?
In seinem Wesen ist der Segelsport der gleiche geblieben, nur geht alles viel schneller. Zu meiner Zeit brauchte es viel Zeit, um die Tricks der Gegner zu durchschauen und durch Beobachten richtig zu reagieren. Heute können die Jungen auf viele Technologien wie Videos, Daten und Replays zurückgreifen. Dadurch lernen sie extrem schnell. In fünf Jahren werden sich die Spielregeln durch den Impuls der neuen Generation geändert haben und das Niveau wird höher sein. Ich wäre gerne 30 oder 40 Jahre jünger. Der Segelsport durchläuft eine fantastische Entwicklung.
Der SailGP hat aus Gründen der Transparenz den Datenaustausch eingeführt. Über die «Oracle Cloud» können die Teilnehmer an den Regattatagen und danach auf alle Daten zugreifen.
Jedes Boot erzeugt an einem einzigen Regattatag Millionen von Daten. Sie werden den Teilnehmern über unser Rechenzentrum zur Verfügung gestellt. Davon profitieren vor allem auch neue Teams. Ausserdem verfügt das Publikum so über die nötigen Grundlagen, um das Rennen und auch das Geschehen hinter den Kulissen besser zu verstehen.
Sind Foilerboote technisch weniger anspruchsvoll?
Im Gegenteil, Segeln ist schwieriger geworden. Die Situationen ändern sich bei den hohen Geschwindigkeiten blitzschnell. Man muss sich den ständig wechselnden Bedingungen anpassen und den Wind genau orten, damit man ihn bei einem Kurswechsel wieder erwischt. Unser Gehirn kann unmöglich so viele Informationen in Echtzeit verarbeiten. Hier hilft der Bordcomputer. Er liefert dem Taktiker die nötigen Daten für eine fundierte Entscheidung. Doch auch das Team hat alle Hände voll zu tun. Auf dem F50 sind für eine Wende 32 Handgriffe nötig, damit der Kat auf den Foils bleibt. Das ist technisch höchst anspruchsvoll.
Der F50 kann allein mit Muskelkraft nicht mehr getrimmt werden. Wie stehen Sie zum Thema Energie an Bord?
Das richtige Gleichgewicht zwischen dem menschlichen Zutun und der Eigendynamik des Bootes zu finden ist ein Balanceakt. Ich finde es wichtig, dass auf den Booten Energie produziert wird. Segeln muss athletisch bleiben. Bei uns liefern die Grinder die Energie für den Grosstrimm. Dafür braucht es viel Leistung. Die Energie für die Einstellungen der Flügelform stammt hingegen von Batterien. Ohne diese Unterstützung würde das Boot deutlich weniger gut vorankommen. Man könnte sogar den Menschen durch ein Computerprogramm ersetzen. Der F50 wäre dann vermutlich noch schneller. Wir wollen den menschlichen Faktor aber auf keinen Fall aufgeben, schliesslich soll der Sportgeist erhalten bleiben.
Das Boot des SailGP wurde beim America’s Cup 2017 auf Bermuda geboren. Seitdem hat es sich stark verändert.
Ja, wir verbessern es fortlaufend. Es hat neue Foils und neue Ruder erhalten. Die Elektronik und die Kontrollsysteme des Bootes wurden modernisiert. Gerade arbeiten unsere Teams am «Propulsion System». An den Foils wird ein vertikaler Antrieb montiert, damit das Boot nach einem Manöver schon bei wenig Wind in der Luft bleibt.
«Der Segelsport durchläuft eine fantastische Entwicklung »
Ist die Debatte, ob fliegende Einrumpf- oder Mehrrumpfboote zum Einsatz kommen sollen, noch aktuell?
Katamarane sind bei wenig Wind agiler. Ich mag es, dass man das Boot an seiner Form erkennt. Wir alle können einen Formel-1-Rennwagen von einem anderen Auto unterscheiden. Es wäre dumm von SailGP, den Bootstyp zu ändern, auch wenn eine andere Karosserie vermutlich aerodynamischer wäre. Was zählt, ist schlussendlich die Qualität des Rennens. One-Design-Boote sorgen für mehr Spektakel, mehr Tempo hingegen bedeutet nicht unbedingt mehr Spannung. Wir bieten Regatten auf hohem Niveau mit technischen Booten und einer homogenen Flotte an. Alles andere, ob Jacht, Katamaran oder etwas anderes, ist mir ehrlich gesagt ziemlich egal.
Der SailGP bringt in seiner vierten Saison zehn Teams an den Start. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Unser Geheimrezept ist die Konstanz. Wir verbessern uns bei jedem Event. Dieses erste Regattawochenende in Abu Dhabi war nicht einfach zu organisieren. Am Samstag haben wir 3500 Eintrittskarten verkauft und das in einem Land, in dem Segelsport so gut wie nicht existiert. Wir haben viel gelernt und bauen unser Wissen ständig aus.
Sie lernen also schneller als der America’s Cup, an dem sehr selten gesegelt wird?
Man wird bei jeder Organisation besser. Wenn ein Event nur alle drei Jahre stattfindet, sind Optimierungen schwierig und man hat auch mehr Mühe, die Konkurrenten zu binden, ganz besonders, wenn die Teams, das Format, das Boot und das Regattarevier so häufig ändern. Aber so war der Segelsport früher nun mal, egal, ob am America’s Cup, am Ocean Race, am Admiral’s Cup oder am One Ton Cup. Die NBA, Fussball, Rugby oder die Formel 1 funktionieren anders. Die Marke überlebt die Einzelpersonen. Dieses kommerziellere Modell wenden auch wir an.
Heisst das, man sollte die Stiftungsurkunde des America’s Cups, die Deed of Gift, verbrennen?
Nein, der America’s Cup ist ein besonderes, historisches Ereignis. Der Cup war schon immer so wie heute. Vermutlich sollte man ihn so belassen, wie er ist.
Und wie sehen sie den 37. America’s Cup mit den Augen eines ehemaligen Teilnehmers und Organisators?
Ich will ehrlich sein: Ich bin nicht mehr so gut vernetzt. Ich habe den America’s Cup geliebt, meine heutige Aufgabe macht mir aber auch viel Freude. Kurz nach dem Ende des Cups im Jahr 2017 hat mich Larry Ellison angerufen und mich gefragt, ob ich mich für die nächste Ausgabe anmelden wolle. Ich habe ihm geantwortet, dass meine Zeit vorbei sei und ich mich anderweitig engagieren wolle. Daraufhin haben wir beschlossen, den SailGP zu gründen. Die Idee gefiel uns beiden.
Sieht sich Larry Ellison die SailGPs an?
Er verfolgt alle Veranstaltungen aus der Ferne. Larry Ellison ist sehr engagiert und passioniert. Wir diskutieren jeweils über die Rennen des Tages, aber auch über die Zukunft des SailGPs. Er ist eine Business-Koryphäe und hat viele inspirierende Ideen. In den Gesprächen mit Larry habe ich das Gefühl, am besten MBA-Institut zu studieren (lacht).
Als Schweizer Journalist muss ich Ihnen die obligate Frage nach Ihrer Beziehung zu Ernesto Bertarelli stellen.
Die Frage stört mich nicht, aber die Geschichte ist doch längst gegessen. Schliesslich ist das Ganze mehr als 21 Jahre her. Wer erinnert sich heute noch daran?! Die jungen Volontäre am SailGP waren zu dieser Zeit noch nicht einmal geboren. Vermutlich interessiert unser Verhältnis kaum noch jemanden.
Das Alinghi-Abenteuer, der überragende Sieg am America’s Cup im Jahr 2003 und dann der Konflikt. Welche Erinnerungen haben Sie heute an diese Zeit?
Ich habe nur gute Erinnerungen, sowohl auf persönlicher als auch auf beruflicher Ebene. Damals konnte ich dank Alinghi auf dem internationalen Parkett Fuss fassen und meine Karriere breiter ausrichten. Das Alinghi-Abenteuer von 2003 war grossartig. Ich hege gegen niemanden einen Groll.