Bis wenige Stunden vor dem letzten Etappenziel in Den Haag war völlig ungewiss, welches Team das Volvo Ocean Race (VOR) 2017/18 gewinnen würde. Die spannendste Weltumseglungsregatta aller Zeiten war geprägt von sportlichen Höhepunkten und menschlichen Dramen. Die Zukunft des Rennens soll den IMOCA 60 gehören, doch viele Fragen bleiben offen.
„In dieser Situation war zuvor noch kein Segler.
Die letzten acht Monate zählen nicht mehr. Es geht jetzt um alles oder nichts.“ Mit diesen markigen Worten hatte die dreifache VOR-Teilnehmerin Carolijn Brouwer im Juni in Göteborg die einmalig spannende Ausgangslage vor dem Start der letzten Etappe zusammengefasst. Zu Recht: Nicht einmal ein Punkt trennte die drei bestklassierten Teams. Der Ausgang des Rennens über 45’000 Meilen in elf Etappen durch alle Ozeane der Welt wurde in der letzten Sprintetappe entschieden. Unglaublich! Unglaublich dann auch das Finish vor Den Haag. Während sich Mapfre und Brunel nach etlichen Führungswechseln etwas abseits des Felds duellierten, hatte man sich auf Dongfeng für eine Route westlich des Sperrgebiets, dicht entlang der deutsch-holländischen Küste entschieden. Für die meisten Beobachter ein aussichtsloses Unterfangen, doch Dongfeng schob sich langsam nach vorne. Wie aus dem Nichts tauchte das französisch geprägte Team mit chinesischem Sponsor um Skipper Charles Caudrelier vor seinen Konkurrenten auf und sicherte sich nach Platz drei beim letzten VOR diesmal den Sieg. Mit an Bord war die Holländerin Carolijn Brouwer, die sich von ihren Landsleuten ausgelassen als erste weibliche Siegerin des VOR feiern liess. Aus Schweizer Sicht erfreulich: Die Genferin Justine Mettraux, die als Grosssegeltrimmerin während zweier Etappen mit an Bord war, und die Firma OC Sport mit Büros in Lausanne, die das Team gemanagt hatte, konnten mitfeiern. Frust hingegen bei Brunel. Das niederländische Team um Bouwe Bekking hatte vom Gesamtsieg vor heimischer Kulisse geträumt, musste am Ende aber auch noch Mapfre ziehen lassen. Nach Platz zwei 2014/15 blieb diesmal nur Rang drei. Achtmal ist Bekking das VOR bereits gesegelt – gewinnen konnte er es nie.
Tragödien und Heldentaten
Die Tage in Den Haag boten Gelegenheit, auf die vielen spektakulären und emotionalen Geschichten zurückzublicken, die dieses Rennen geschrieben hat. Die tragischen Todesfälle liessen sich dabei nicht ausblenden. Bei einer Kollision mit Vestas ist vor Hongkong ein Fischer ums Leben gekommen. Der britische Segler John Fisher vom Team Sun Hung Kai/ Scallywag wurde über Bord gespült und blieb trotz intensiver Rettungsbemühungen verschollen. Und vor der Küste Den Haags verstarb eine weitere Person bei der Kollision zweier Zuschauerschiffe. Martine Grael, die brasilianische Goldmedaillengewinnerin von Rio und Tochter des mit fünf Medaillen erfolgreichsten brasilianischen Olympioniken Torben Grael, sprach verständlicherweise lieber über andere Dinge. Etwa den neuen 24-Stunden-Rekord, den sie und ihr Team AkzoNobel mit 601,63 Meilen aufgestellt hatten. Bisheriger Rekordhalter war ausgerechnet ihr Vater gewesen. AkzoNobel-Skipper Simeon Tienpont scherzte, Martine könne ihren Vater von nun an „Captain Slow“ nennen. Dazu meinte die Tochter: „Dad ist froh, dass der Rekord in der Familie bleibt und er hat mir mit seinen Erfahrungen sehr geholfen.“ Auf John Fishers Tod angesprochen, reagierte die junge Seglerin abgeklärt: „Das Unglück ist tragisch, aber wir betreiben einen Hochrisikosport. Dass so etwas passieren kann, wissen alle. Man muss lernen, damit umzugehen und weitermachen.“ Weitermachen war auch die Devise von Team Vestas 11th Hour Racing. Es war bereits 2014/15 durch die Strandung auf einem Riff zu peinlicher Berühmtheit gelangt. Diesmal ging bei einer Kollision vor Hongkong der Mast zu Bruch. Wie die Crew dann aber auf den Falklandinseln mithilfe einer gefundenen Alustange ein Notrigg zusammenbastelte, um rechtzeitig das brasilianische Itajaí zu erreichen, brachte ihr viel Respekt ein. Das Motto „Never Give Up“ wurde hier tatsächlich gelebt!
Bye bye Volvo, willkommen IMOCA
Neben Freude, Wehmut und Erinnerungen hing in Den Haag auch Unsicherheit in der Luft. Für einmal beschäftigten sich nach der kräftezehrenden Tour um die Welt nicht nur Segler und Staff mit der bangen Frage „was nun?“. Diesmal ging es um die Zukunft der Regatta. Veranstalter Volvo hatte im Frühling bekannt gegeben, dass er sich nach 20-jährigem Engagement zurückzieht. Die Rechte am Rennen übergab Volvo der Firma Atlantic Ocean Racing, deren Inhaber bereits im November 2017 das Zepter übernommen hatten. In Den Haag liessen sie verkünden, was gerüchteweise schon länger kursierte: Das nächste Ocean Race wird 2021/22 auf IMOCA 60 mit fünfköpfiger Besatzung gesegelt. Das Bündnis mit der Bootsklasse, auf der unter anderem die berühmte Einhandregatta Vendée Globe gesegelt wird, soll Synergien nutzen und ein grosses Teilnehmerfeld garantieren. Da es sich bei den IMOCA um eine Konstruktionsklasse handelt, sind die Designer wieder mitverantwortlich für den Erfolg. Zu Recht, findet Juan Kouyoumdjian, einer der erfolgreichsten seines Fachs: „Im Jachtsport geht es nicht nur um die Crew, sondern auch um die Ausrüstung.“ Sieg-Skipper Caudrelier zeigte sich ebenfalls erfreut über die Partnerschaft mit den foilenden Einrümpfern: „Es sind unglaubliche Boote. Ich geniesse das Segeln auf ihnen sehr und glaube, dass die Zuschauer von den Booten begeistert sein werden.“ Weniger angetan äusserte sich der sechsfache VOR-Teilnehmer Chris Nicholson. Er befürchtet fehlende Action aufgrund der gedeckten Cockpits und zweifelt die Belastbarkeit Ainhoa Sanchez Martin Keruzore Sam Greenfield der aktuellen IMOCA 60 an: „Wenn wir Stürmen weiterhin nicht ausweichen und fünf VOR-Segler eine IMOCA so pushen, wie wir es mit den VolvoOcean65 (VO65) gemacht haben, machen wir die IMOCA im Handumdrehen kaputt.“
Zweifel und offene Fragen
Ganz verzichten auf die VO65 und das One- Design-Konzept, immerhin hauptverantwortlich für die engen und spannenden Rennen der letzten beiden Ausgaben, will man aber doch nicht. Mittlerweile wurde bekannt gegeben, dass die ursprünglich für zwei Rennen gebauten VO65 als zweite Klasse ebenfalls mit dabei sein sollen. Die Organisatoren hoffen, dadurch zusätzliche und auch jüngere Crews an die Startlinie zu bekommen. Offen bleibt die Frage, wie es mit der Mixed- Regel weitergehen soll. Dank ihr hatten so viele Frauen wie nie Gelegenheit erhalten, das Rennen zu bestreiten und wertvolle Erfahrungen zu sammeln. Trotz anfänglichem Widerstand wurden sie von ihren männlichen Kollegen im Laufe der Regatta mit viel Lob eingedeckt. Bleibt zu hoffen, dass es ihnen gelingt, sich Plätze an Bord der IMOCA zu sichern.