Weil sich der Nebel über Les Sables d’Olonne festgesetzt hatte, musste der Start zur neunten Vendée Globe um über eine Stunde verschoben werden. Als Alan Roura um 14.20 Uhr die Startlinie überquerte, rissen die ersten Sonnenstrahlen das Nebelfeld auf. Für den 27-jährigen Schweizer ist es die zweite Teilnahme an dieser Solo-Weltumsegelung ohne Zwischenstopps.

Text und Fotos: Jean-Guy Python

Sonntag, 8. November 2020. Bei Südostwind von 12 Knoten und relativ ruhigem Meer starteten die 33 Einhandsegler bei seitlichem Kurs Richtung Süden, um den ersten Teil des «Everest der Meere» unter den Bug zu nehmen. Zwei Tage vor dem Start platzte Alan Roura fast vor Ungeduld. Er war wegen des Lockdowns zwei Wochen nicht mehr aus seinen vier Wänden hinausgekommen und wollte jetzt endlich loslegen. «Vor vier Jahren haben wir zu dieser Zeit Tag und Nacht gearbeitet und gefeiert. Dieses Jahr war ich komplett isoliert», bedauerte der Schweizer.

«Um mich auf den Regattamodus einzustellen, habe ich mich in die Wetterdaten vertieft. Ich bin gut drauf und kampfbereit! Ich werde am Anfang alles geben, denn hier ist sicher einiges zu holen. Ich bin richtig heiss auf das Rennen.»

Ob es ganz so gut geklappt hat wie erwartet, wird er uns bestimmt später verraten. Für die Beobachter wirkte sein Start etwas verhalten und vorsichtig. Roura kam als 15. von der Linie weg.

2016 war der damals 23-jährige Genfer der jüngste Skipper, der je an einer Vendée Globe teilgenommen hat. Vier Jahre später ist er noch immer der Jüngste im Bunde, hat diesmal allerdings grössere Pläne. Er will die Welt nicht mehr wie bei seiner Premiere in 105, sondern in 80 Tagen umrunden und nebenbei auch seine Platzierung (12.) verbessern.

08.11.2020; Les Sables d Olonne; Voile; Vendée Globe 2020; Der Schweizer Alan Roura verlässt den Ponton am Sonntagmorgen foto JeanGuyPython

Zu den meistgehandelten Siegesanwärtern zählt Alex Thomson. Er hat sich diese Saison nach seinem 3. Platz 2012/13 und dem 2. Platz hinter Armel Le Cléac’h vier Jahre später ganz auf die Vendée Globe 2020 konzentriert und sich im Hinblick auf sein grosses Ziel, den Hochseemarathon diesmal zu gewinnen, die wohl radikalste und technisch fortschrittlichste IMOCA-Jacht angeschafft. Jetzt ist der Brite da, wo er hinwollte und kann sich optimal vorbereitet auf einem schnellen Racer mit den anderen 32 Konkurrenten messen.

Die hochgezüchteten Foiler-Monster werden phänomenale Geschwindigkeiten erreichen, die Skipper durch die Hölle gehen und Gefahr laufen, sich schwer zu verletzen. Einige werden seekrank sein und im Innern des Bootes ausharren. Da jeder Handgriff den Seglern eine fast unmenschliche Anstrengung abverlangt, dürften viele auf dem Zahnfleisch gehen. Louis Burton auf Bureau Vallée weiss um die Tortur und hat in weiser Vorsicht die Ergonomie und den Komfort an Bord verbessert.

«Als die Foiler frisch ausgeliefert wurden, war sich wohl keiner von uns im Klaren, wie unzumutbar und nass es darauf werden würde. Auf den Booten der Folgegeneration sind die Cockpits daher auch geschlossen und geschützt.»

Die auf Sieg getrimmten Foilerjachten und die Generation der konventionelleren IMOCAs werden vermutlich in zwei verschiedenen Ligen segeln. Laut Thomas Ruyant, der mit dem IMOCA Linkedout einen Podestplatz anstrebt, sind die Unterschiede erheblich: «Mit den modernen Foils kann man viel früher in den Flugmodus schalten, das ist ein enormer Vorteil. Früher brauchte es dazu mindestens 14 Knoten. Ein solches Tempo erreicht man aber nur mit kraftvollen Rümpfen. Die heutigen Foils sind grösser und bringen das Boot bereits ab 10 bis 12 Knoten Wind auf Trab. Ausserdem wurden bei der Form grosse Fortschritte erzielt. Ab einer bestimmten Geschwindigkeit wird das Boot komplett aus dem Wasser gehoben, sodass der Rumpf keinen Wasserwiderstand mehr erzeugt. Der Flug ist zwar nicht immer zu 100% stabil, aber bei guten Bedingungen dauern die Flugphasen lange an und man kann gegenüber Booten im Lowrider-Modus 5 bis 6 Knoten herausholen.»

08.11.2020; Les Sables d Olonne; Voile; Vendée Globe 2020;Der Schweizer Alan Roura an Bord der Fabrique kurz nach der Abfahrt foto JeanGuyPython

Alan Roura lässt sich durch diese ungleichen Voraussetzungen nicht verunsichern. Die Vendée Globe sei ein Marathon, kein Sprint, betonte er. «Daher hat bisher auch noch nie das theoretisch schnellste Boot gewonnen. Es war noch immer der Segler, der im entscheidenden Moment richtig entschieden hat, der am Schluss als Sieger feststand», erklärte er in einem Interview unseren Kollegen von 24 heures.

DDass sie nach dem mehrtägigen Lockdown am 8. November endlich loslegen konnten, empfanden alle Skipper als Erleichterung. Auch Laura Le Goff, der Geschäftsführerin der Vendée Globe, fiel ein Stein vom Herzen: «Nach dem mehrmonatigen Aufbau des Publikumsdorfes und der Ausarbeitung der Hygiene- und Sicherheitsregeln ist dieser Start eine besondere Genugtuung. Wir haben uns an die behördlichen Auflagen gehalten, hatten dabei aber immer nur ein Ziel vor Augen: Dass Rennen musste unbedingt stattfinden. Und das hat es!», freute sich die Direktorin.

In der ersten Nacht wurden die Skipper in der Biskaya von einer Schlechtwetterfront mit bis zu 30 Knoten starken Böen kalt erwischt. Am Ende des ersten Tages führte Jérémie Beyou auf Charal das Feld an, gefolgt von Charlie Dalin auf Apivia und Alex Thomson auf Hugo Boss – alle drei Foiler der jüngsten Generation!

08.11.2020; Les Sables d Olonne; Voile; Vendée Globe 2020; Hugo Boss von Alex Thompson foto JeanGuyPython