Im Frühling 2004 wurde die erste Esse 850 präsentiert. Sie ist auf dem Markt der schnellen, sportlichen Dayboats noch immer eine Referenz. 185 Exemplare sind bisher vom Stapel gegangen und es scheint noch kein Ende in Sicht.

Text: Vincent Gillioz

Eine neue Bootsklasse zu lancieren ist immer ein gewagtes Unterfangen. Viele Boote haben es trotz interessantem Grundkonzept nicht über wenige Exemplare hinausgebracht. Für den Erfolg eines solches Vorhabens gibt es kein Geheimrezept. Vielmehr beruht das Gelingen auf dem Zusammenspiel verschiedener, zu einem bestimmten Zeitpunkt funktionierender Elemente. Wichtig sind natürlich die jeweiligen Marktbedürfnisse, aber auch das Design, die Bauqualität, ein effizientes Marketing und bis zu einem gewissen Grad der Preis spielen eine Rolle.

Eine Marktlücke füllen

Joseph Schuchter, Chef der Schuchter Sportboot AG in Stäfa am Zürichsee, stellte Anfang der 2000er-Jahre fest, dass es auf dem Markt kein speziell für Binnenseeverhältnisse angepasstes Dayboat gab, das sich einfach handhaben liess und bei allen Wind- und Wellenbedingungen schnell war. Also beauftragte er Umberto Felci, ein Boot mit exzellenten Segeleigenschaften und attraktivem, racerähnlichem Design in der Art der damaligen America’s Cupper zu entwerfen.
Entstanden ist eine 8,50 Meter lange und 2,20 Meter breite Jacht mit 1250 Kilo Leergewicht, davon 770 Kilo im Kiel, und einem Tiefgang von 2 Metern. Dank des hohen Aufrichtmoments kann sie ziemlich viel Tuch tragen (41,5 m2 am Wind) und ist bei wenig Wind äusserst schnell. Um dem Anspruch auf einfaches Handling gerecht zu werden, wurde auf ein Backstag verzichtet und der Spi durch ein Gennaker ersetzt.
Im Winter 2003/04 wurde mit dem Bau begonnen und im März 2004 die Baunummer 1 der Esse 850 eingewassert. Der Erfolg liess nicht auf sich warten, schon in den ersten Jahren konnte sich die Werft kaum vor Bestellungen retten. «Klar hatten wir gehofft, dass wir mit unserem Konzept das Interesse der Segler wecken», gesteht Josef Schuchter rückblickend, «aber mit einem solchen Erfolg hatten wir dann doch nicht gerechnet. Er belohnt unsere Arbeit und unsere Ideen. Wir wollten eigentlich nur ein schnelles, einfaches und nicht zu extremes Boot entwerfen. Das Konzept kam gut an. In den besten Zeiten haben wir bis zu 40 Stück pro Jahr gebaut.» Die Auszeichnung als European Boat of the Year 2005 und der vom Sailing World Magazine vergebene Preis als Overall Boat of the Year 2007 festigte den hervorragenden internationalen Ruf der Esse 850 endgültig. Heute segeln auf dem Genfer-, Zürich- und Bodensee rund hundert dieser Einheiten. Die restlichen verteilen sich auf Deutschland, Österreich, die Tschechische Republik, die USA und sogar Asien.

Engagierte Regattaklasse

Schon nach den ersten Kräftemessen an klassischen Regatten wurde klar: Die Einheitsboote brauchten eine Struktur. Als Reaktion wurde 2007 eine Klassenvereinigung gegründet. Sie legt die Wettfahrtregeln und den Regattakalender fest. Der Gardasee entwickelte sich rasch zur Hochburg der Esse-850-Klasse, die in Malcesine jedes Jahr eine Regatta austrägt. Parallel dazu wurde mit dem Esse 850 IC Cup eine Jahresmeisterschaft auf die Beine gestellt. 2010 wurde die Klasse von Swiss Sailing anerkannt und darf seither eine offizielle Schweizermeisterschaft ausrichten.
Seit letztem Jahr steht Alec Tavel der Klasse vor. Er hat ihr in der Romandie zu neuem Schwung verholfen. «Ich wurde gewählt, um die Klasse auf internationalem Niveau zu leiten», erklärt der neue Präsident, der seit acht Jahren auf Esse segelt. «Aber da ich in Lausanne wohne und auf dem Genfersee segle, werde ich in meiner Region natürlich besonders aktiv sein. Das Entwicklungspotenzial ist in diesem Teil der Schweiz gross. In jüngster Zeit haben mehrere Boote den Besitzer gewechselt, der Markt ist dynamisch, das Boot gefällt und eignet sich bestens für die Wind- und Wetterverhältnisse auf dem See. Es läuft wirklich gut und segelt sich angenehm, egal, wie gross das Team ist. Für die Einhandregatta Syz Translémanique en solitaire zum Beispiel ist es perfekt.»
Was die Flottenregatten anbelangt, so will Alec Tavel die Teilnehmerzahl fortlaufend erhöhen. Sein Ziel seien 20 bis 30 Boote in Malcesine und an der Schweizermeisterschaft sowie 15 bis 20 an den anderen Regatten. «Der Transport hält viele von einer Teilnahme ab, daher organisieren wir regionale Regatten, ich hoffe aber trotzdem, dass die Segler künftig auch weitere Reisen auf sich nehmen.»

Die Klassenbesten

Die Esse 850 stösst auch bei Weltklasseseglern auf positive Resonanz und hat schon viele prominente Vertreter begeistert. In den ersten Jahren dominierte Oscar Paulich das Geschehen, anschliessend gab das Trio aus Alessandro Fuchs, Donato Perucchi und Roberto Turchet den Ton an. Von 2009 bis 2014 kam niemand an Alain Marchand vorbei. Er gewann den Cup sechsmal in Folge und wurde mehrmals Schwei- zermeister. Momentan dominiert Paul-Ambroise Sevestre. Der dreifache Schweizermeister sieht sich aber einer zunehmend starken Konkurrenz
gegenüber: «Das Boot ist am Wind sehr schnell und einfach zu segeln. Es eignet sich für Fami- lienausflüge ebenso wie für Flottenregatten. Was mir und den meisten anderen Amateur- seglern gefällt, ist das gute Niveau. Die Spitze wird aber immer enger. Bei meinem ersten Ti- tel kämpften wir zu dritt um den Sieg, dieses Jahr sind wir schon fünf an der Zahl. Da es sich um eine strikte Einheitsklasse handelt, sind zudem auch ältere Modelle vorne mit dabei. Die Baunummer 1 segelt noch immer und ist am Wind wirklich schnell. Das beweist, dass die Klasse gut funktioniert.»

Gute Zukunftsaussichten

Um die Zukunft der Esse 850 braucht man sich keine Sorgen zu machen. Die Werft baut nach wie vor rund zehn Einheiten pro Jahr. Schuchter hat den guten Ruf seines ersten Modells genutzt, um die Flotte zu diversifizieren: «Wir bauen die 850 jetzt auch in einer L- und einer LE-Version, damit Kunden, die Wert auf Qualität legen, aber nicht unbedingt an Regatten teilnehmen wollen, ebenfalls das passende Boot finden».
Das erfolgreiche Konzept der Esse 850 wurde mit der Esse 750 und der Esse 990 fortgesetzt. Vor Kurzem kam die Esse 330 hinzu, die sich dank Hubkiel und kleiner Kabine als perfekter Weekend-Cruiser präsentiert. «Damit entsprechen wir einer Marktnachfrage», heisst es von Seiten der Werft. «Wir nutzen unseren Best- seller, die 850, als Ausgangspunkt für weitere Modelle. Die erste 330 wurden an den Genfersee verkauft und wir erhoffen uns natürlich
positive Rückmeldungen. Die 850 wird aber unser Klassiker bleiben und Regatteure noch lange begeistern.»
Ob das stimmt, wird die Zukunft zeigen. Der bisherige Erfolg aber beweist, dass es für eine Schweizer Werft durchaus möglich ist, sich auf dem internationalen, oft übersättigten Markt zu etablieren und dass die künftigen Besitzer beim Kaufentscheid vor allem auf eines achten: auf Qualität.