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Team TILT: mit Engagement zum Sieg

von Quentin Mayerat

Tilt: mit Engagement zum Sieg

Nur wenige Segelkader wurden in den letzten zwanzig Jahren so gefeiert wie Tilt. Die unerschrockenen Youngster machten dem zweifachen America’s-Cup-Sieger das Leben schwer und prägten die Post-Alinghi-Ära wie kein anderes Team. Tilt gewann nicht nur die GC32-WM und absolvierte zwei bemerkenswerte Kampagnen am Youth America’s Cup, sondern bietet jungen Seglern auf dem Weg zur Profikarriere auch professionelle Unterstützung. Die Initiative wird im Inund Ausland begeistert aufgenommen.

Text: QUENTIN MAYERAT

Alex Schneiter wurde schon oft gefragt, was eigentlich das Team Tilt ausmache. In seinen Antworten tauchen immer wieder die gleichen Schlüsselbegriffe auf: Teamgeist, Regatta, Beharrlichkeit, Performance, Olympia und Erfolg. Es sind die Wörter eines Siegers, die Schneiter über die Lippen kommen. Er hat einer ganzen Generation die Chance verschafft, im engen Kontakt mit der Weltelite das Kaliber eines Profiseglers zu erlangen. Ein Bild, das so gar nicht zu seinen chaotischen Anfängen in der Segelszene passt.

Alex Schneiter

Tilt, die wahre Geschichte

Tilt war nicht immer das junge Regat- tateam, das wir heute kennen. In seinen Anfängen segelte es unter den Farben des national und international erfolgreichen Alexandre Schneiter. 1987 stürzte sich der damals 25-Jährige nach seinem Studienabschluss an der Uni Genf in sein erstes grosses Abenteuer: Er nahm im Doppel mit Patrick Firmenich an der Mini-Transat teil. Das Projekt war eine einzige Bastelei. Sie behalfen sich mit dem we- nigen, was verfügbar war. Tilt war der Name ihres Sponsors, einer mittlerweile vom Radar verschwundenen Sportswear-Marke. Mit typisch jugendlicher Unbekümmertheit machte sich das Duo daran, mit Sextant und einer gehörigen Portion Schneid auf einer Coco 6.50 den Atlantik zu überqueren. Das gelang ihnen erstaunlich gut: «Das Flautenloch vor Por- tugal fühlte sich an wie auf dem Genfersee», meint Alexandre Schneiter rückblickend. «Wir erreichten die Kanaren als erste, was damals mit einem Klas- senboot schier unmöglich war.» Zur allgemeinen Überraschung liess das Tandem nicht nur sämt- liche Prototypen, sondern auch künftige Stars wie Laurent Bourgnon und Isabelle Autissier hinter sich. Das Team Tilt der 2000er-Jahre gab es damals zwar noch nicht, doch in dieser lehrreichen OffshoreZeit sind zweifellos die Ursprünge von Schneiters Unternehmensgeist und Entschlossenheit zu suchen, denen Tilt seine Existenz verdankt. Am Mini Fastnet, das er als Sieger beendete, am Solitaire du Figaro, als Crewmitglied von Pierre Fehlmann auf der Merit (11.) und an der Transat AG2R mit Philippe Cardis sammelte der Genfer unzählige Seemeilen, bevor er sich wieder vermehrt auf Inshore-Regatten besann. Sie sollten um die Jahrtausendwende Tilts Markenzeichen werden.

2018, die Krönung: Mit der Rückkehr von Glenn Ashby, Bryan Mettraux und Lucien Cujean ist das Dream Team wieder komplett und gewinnt souverän die erste Weltmeisterschaft der GC32-Klasse in Riva de Garda.

2002 tauften Alexandre Schneiter und Patrick Firmenich die gemeinsam gekaufte Psaros 40 Tilt. «Wahrscheinlich erinnerte uns der Name an die Zeit unserer grossen Abenteuer», vermutet der Teamchef. Im folgenden Jahrzehnt konzentrierte er sich vor allem auf die Genfersee Regatten, wo er unzählige Siege einfuhr. Schon an ihrer ersten Bol d’Or gewann Tilt als schnellste Einrumpfjacht die Bol de Vermeil und konnte den Pokal nach zwei weiteren Siegen in den folgenden vier Jahren definitiv behalten. 2007 befand sich die Psaros 40 auf ihrem Höhepunkt. Sie holte das Ruban Violet für die schnellste je von einem Monohull gesegelte Zeit von Genf nach Le Bouveret und zurück. Niemand konnte die 7h32’10’’ seither unterbieten, nicht einmal die Hightech-Jacht Monofoil Gonet von Eric Monnin. «Wir hatten an diesem Tag viel Glück, es wehte eine steife Bise», räumt Schneiter ein. «Wir konnten das untere Seebecken praktisch mit einem Schlag hinter uns lassen. Bei der Rückfahrt unter Spi raumte der Wind immer weiter. Alles in allem mussten wir vielleicht vier Manöver segeln, alle bei vollem Tempo.»

In diesem ersten Jahrzehnt spielte Alexandre Schneiter auch bei den Mehrrümpfern eine tragende Rolle. Zweimal gewann er die M2 Meisterschaft im Team mit Charles Favre, vor allem aber beteiligte er sich an einem für die damalige Zeit etwas verrückten Projekt: dem Bau und der Optimierung des Foilerkatamarans Syz&Co. Wirk- lich abheben konnte der mit abnehmbaren Tragflächen ausgestattete Kat aufgrund seines allzu schweren Aufbaus nie, er erwies sich indes als zukunftsweisendes Labor für die fliegenden Mehrrümpfer. Was rückblickend als Weichenstellung für die Foiler-Ära bezeichnet werden kann, entpuppte sich schon bald als Prämisse des modernen Teams Tilt, mit dem wir während zweier Kampagnen am Youth America’s Cup mitgefiebert haben.

Für die Mitglieder von Team Tilt entfiel die Winterpause 2012/13. Sie mussten die wenigen Monate bis zu ihrem ersten Youth nutzen, um das Mehrrumpfsegeln zu lernen.

Platz dem Nachwuchs

«Russell Coutts weiss nichts davon, aber dass Tilt zu dem Team geworden ist, das es heute ist, verdanken wir teilweise ihm», sagt Alexandre Schneiter sichtlich amüsiert. Als Larry Ellison und sein rechter Arm mit der Idee eines Youth America’s Cup an die Öffentlichkeit gingen, witterte Alex Schneiter die Chance, den Stab an jüngere Segler zu übergeben. «Ich wusste damals nicht, worauf ich mich einliess. Ich hatte wirklich keine Ahnung, was ein solches Projekt mit sich bringen würde.» Im Oktober 2012 startete der Countdown des ersten Youth, der im Sommer 2013 in der Bucht von San Francisco stattfinden sollte. In wenigen Wochen wurde eine erste Teamauswahl getroffen, der D35 von Michel Desjoyeaux gekauft und das Training aufgenommen. «Wir haben den ganzen Winter auf dem D35 verbracht und manchmal Kübel mit heissem Wasser aufs Boot geschleppt, um die Schoten zu enteisen», erzählt Schneiter.

Die damals frisch engagierte Kommunikationschefin Sophia Urban staunt noch immer. «Man muss sich das mal vor Augen führen. Wir haben bei null angefangen und obwohl ich das Gefühl hatte, dass Alexandre Schneiter immer genau wusste, was er mit Tilt erreichen wollte, so musste das Ganze doch erst aufgebaut werden. 2013 bestand das Team aus lauter sehr jungen Seglern. Wir waren praktisch noch Kinder, aber alle waren voll engagiert und niemand beklagte sich, wenn er vor dem Training den Schnee vom D35 schaufeln musste.» Alex Schneiter und das Kader der Talentschmiede, zu dem seit dem Ende des Youth America’s Cups 2013 offiziell auch Tanguy Cariou gehört, legten immer viel Wert darauf, ihre Auffassung von Leistung zu vermitteln. Sie ist ein fester Bestandteil der DNA von Tilt: «Eine meiner Aufgaben besteht darin, die jungen Segler zu formen», sagt Tanguy Cariou. «Wir haben ihnen beigebracht, intensiver und aggressiver zu segeln, dabei auf keinen Fall überheblich zu werden, sich zwischen zwei Läufen stets mit der persönlichen Leistung auseinanderzusetzen und niemals aufzugeben.» Tilt hat sich zu einem veritablen Ausbildungszentrum für junge Schweizer Segler entwickelt. Von einer solchen Einrichtung konnte der junge Alexandre Schneiter in seinen unstrukturierten Anfängen nur träumen. Aus dem ersten Klassenjahrgang von Tilt gingen einige heute international erfolgreiche Athleten hervor. Arnaud Psarofaghis und Bryan Mettraux zum Beispiel, die später von Alinghi rekrutiert wurden, oder Lucien Cujean, der heutige Vorschoter und treue Freund von Sébastien Schneiter im 49er. Von 2012 bis 2020 gab Tilt rund 25 jungen Seglern das Rüstzeug für eine Karriere auf Topniveau mit. Viele sind noch immer aktiv, sei es auf dem Genfersee oder in olympischen Klassen, darunter Jérémy Bachelin, Guillaume Rigot, Maud Jayet, Jocellyn Keller, Nils Theuninck, Jonas Schagen, Arthur Cevey und Florian Trüb. Die am ersten Youth Amercica’s Cup gesäten Samen sind gekeimt und haben dafür gesorgt, dass das rot-weisse Team in der Schweiz und auf internationaler Ebene eine neue Ära einläuten konnte.

Wertvoller Deal: Am Youth America’s Cup 2017 konnte Team Tilt auf den Bermudas die Infrastruktur
von ETNZ nutzen. Für die Youngster ging ein Kindheitstraum in Erfüllung.

Glanzleistungen

Doch was bringen schon gute Trainingsleistungen, wenn keine Resultate folgen? Nach dem ermutigenden 4. Platz am Youth America’s Cup 2013 in San Francisco, der auf AC45 mit Flügelsegeln ausgetragen wurde, kehrte Tilt mit der festen Absicht auf den Genfersee zurück, die Klingen zu wetzen, um mit noch mehr Kampfbereitschaft zum nächsten Youth anzutreten. Was folgte, waren die vier intensivsten Jahre in der Geschichte der Ausbildungsstätte. Nach und nach stiessen neue Hoffnungsträger zum D35-Team, darunter Alexandre Schneiters Sohn Sébastien. Er segelte damals erfolgreich bei den Lasern, stieg an der WM dreimal aufs Podest und wurde Europameister. Sébastien verdiente sich geduldig seine Sporen ab, bis er 2015 schliesslich das Ruder übernahm. 2015 war auch das Jahr, in dem Tilt so stark war wie nie. Nichts konnte den jungen Haudegen widerstehen. Das Dreamteam aus Lucien Cujean, Bryan Mettraux, Arnaud Psarofaghis, Tanguy Cariou, Alexandre und Sébastien Schneiter gewann an der D35-Meisterschaft vier der sechs Grand Prix und krönte die Erfolgsserie mit einem Sieg an der Bol d’Or Mirabaud. Plötzlich waren alle Blicke auf Sébastien Schneiter gerichtet. Er hatte mit nur 19 Jahren als jüngster Steuermann die grösste Binnenseeregatta Europas gewonnen.

Tilt war in Topform, durfte aber keinesfalls stehenbleiben. Um die Altersvorgaben des Youth America’s Cups 2017 auf den Bermudas zu erfüllen, musste das Team verjüngt werden. Allmählich verliessen die älteren Semester das alles andere als sinkende Schiff, heuerten als Coaches an oder nahmen Kurs auf neue Projekte. Während im Team Tilt die Weichen neu gestellt wurden, kündigte sich im internationalen Segelzirkus eine Revolution an. Vielerorts wurden die Foilerboote gepuscht, so auch im Youth America’s Cup. Er würde nicht wie 2013 auf traditionellen Katamaranen gesegelt, sondern auf foilenden AC45, verkündeten die Organisatoren. Die Entscheidung warf so ziemlich alles über den Haufen. Tilt blieb nichts anderes übrig, als fliegen zu lernen. Dieser Paradigmenwechsel war der Beginn einer neuen Phase auf internationaler Ebene.

Go for Tokio: Team Tilt ist auch olympisch unterwegs, zum Beispiel mit Sébastien Schneiter und Lucien Cujean auf dem 49er.

Sternstunden und Enttäuschungen

Je mehr Fortschritte Tilt erzielte, desto klarer wurde: Am Youth America’s Cup musste ein Sieg her. Mit diesem Ziel meldete sich das Team zur GC32 Racing Tour an, denn eine bessere Vorbereitung auf den America’s Cup gibt es auch für die «Grossen» nicht. Dann zog Alex Schneiter das grosse Los. Er begegnete Grant Dalton, dem Chef von Emirates Team New Zealand, mit dem er sich auf Anhieb verstand. Ihre Seelenverwandtschaft führte zu einer Zusammenarbeit, die sich für beide auszahlte. Tilt konnte seine Foiling Kenntnisse verbessern und Kiwi-Skipper Glenn Ashby im Hinblick auf den Cup viele Stunden auf dem Wasser trainieren. Mit dem australischen Luxusgast an Bord flog das Schweizer Team an der GC32 Racing Tour auf seinem Foilerkat direkt hinter Franck Cammas auf den zweiten Gesamtrang. Ausserdem durfte Tilt während des Cups auf den Bermudas die Infrastruktur und den AC45 von ETNZ nutzen. Diese Joint-Venture war ein Zeichen dafür, welche Anerkennung das Projekt im Profizirkus genoss. Für Alex Schneiter ging ein Traum in Erfüllung: «Als die Jungs das erste Mal auf dem Foilerboot von ETNZ segelten, konnte ich es kaum fassen. Es war fantastisch, nahezu unvorstellbar, und doch waren sie da, mit Glenn Ashby an ihrer Seite, der ihnen Tipps gab.»

2017 präsentierte sich Tilt körperlich, technisch und mental topfit am Start des Youth America’s Cups. Die ganze Schweiz fieberte mit dem Team mit, die Begeisterung erinnerte schon fast an die grossen Alinghi-Jahre. Alle Augen waren auf den Bildschirm gerichtet. Auf den Terrassen der Segelclubs feuerten die Fans «ihre» Mannschaft lautstark an.

Leider gelang Tilt der Auftakt nicht wie gewünscht. Woran es genau lag, ist schwer zu sagen. Am übermässigen Druck oder an den zu hohen Erwartungen vielleicht. Möglicherweise hatten die jungen Schweizer auch einfach nur Pech. Sie fanden bei dem Schwachwind nicht ins Rennen. Kein einziger Lauf bot genügend Wind zum Foilen, dabei hatten sie doch in den Jahren zuvor ihr ganzes Training darauf ausgerichtet. Trotzdem gab sich Team Tilt keine Blösse und holte hinter den Briten und den Neuseeländern Bronze. Ihr Podestplatz an der Seite der beiden grossen Segelnationen wurde in der ganzen Schweiz mit Stolz gefeiert. Für Tilt hatte er aber einen bitteren Beigeschmack, denn schliesslich waren sie angereist, um zu gewinnen.

Den Kinderschuhen entwachsen

Zwei Youth-Kampagnen später hatte Tilt das Erwachsenenalter erreicht. Die Enttäuschung der Bermudas war jedoch noch nicht ganz verdaut. Ein Jahr später formierte sich die junge Truppe um Sébastien Schneiter und Glenn Ashby, um an der ersten Weltmeisterschaft der GC32-Klasse auf dem Gardasee zum Gefecht anzutreten. Dort lieferte Tilt im Kampf gegen die weltbesten Teams Alinghi und Ineos eine sensationelle Vorstellung und holte sich hochverdient den Titel. Mit dieser Revanche konnten die jungen Schweizer das Kapitel des Youth America’s Cups ehrenvoll abschliessen und zuversichtlich nach vorne blicken.

Im Hinblick auf die Olympischen Spiele hat sich Tilt vorübergehend etwas aus dem Regattageschehen zurückgezogen und damit in der Schweizer Segelszene eine Lücke hinterlassen. Hierzulande hat man sich an die Scharmützel zwischen den Veteranen von Alinghi und den jungen Wilden von Tilt gewöhnt und möchte sie nicht mehr missen. Das Duo Sébastien Schneiter/Lucien Cujean bereitet sich derzeit auf seine zweite Olympia- kampagne im 49er vor. In Rio 2016 hatte es mehrere Ausrufezeichen gesetzt, es haperte dann aber doch an der nötigen Konstanz und Erfahrung. Nach nur zwei Jahren gemeinsamen Trainings bei der ersten Olympiateilnahme auf den 13. Platz zu segeln verheisst für die Zukunft jedoch Grosses. 2021 visieren die beiden ein Top-5-Resultat, wenn nicht sogar eine Medaille an. Erreichen wollen sie das hochgesteckte Ziel mit viel Arbeit und Durchhaltewillen.

2018, die Krönung: Mit der Rückkehr von Glenn Ashby, Bryan Mettraux und Lucien Cujean ist das Dream Team wieder komplett und gewinnt souverän die erste Weltmeisterschaft der GC32-Klasse in Riva de Garda.

Eine grosse Familie

Indem Alexandre Schneiter 18bis 25-jährige Nachwuchssegler in sein Team aufnahm, schaffte er ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Beteiligten bilden eine eingeschweisste Gemeinschaft. Alle früheren und aktuellen Mitglie- der von Tilt sind mit ihrem Team grossgeworden und haben im Lauf der Abenteuer enge Beziehungen zu ihren Mitseglern aufgebaut. «Wenn wir vollzählig zusammenkommen, was in der Regel einmal pro Jahr der Fall ist, hat man das Gefühl, es habe sich nichts geändert», beschreibt Sophia Urban den Zusammenhalt. Die Verbundenheit und die Freundschaft sind nachweislich auch auf dem Wasser ein grosser Vorteil. Alex Schneiter und seine Frau Marie haben mit ihrer sympathischen, unkomplizierten Art massgeblich dazu beigetragen, aus dem Team eine grosse Familie zu machen. Die Segler sind bei den Schneiters stets willkommen, ihr Haus steht ihnen offen. Resultate sind schliesslich nicht alles, der menschliche Aspekt ist ebenso wichtig. Gerade, weil Tilt nicht einfach nur eine Siegerfabrik ist, hat sie eine ganze Generation vielversprechender Athleten hervorgebracht, die in den nächsten 20 Jahren bestimmt viel von sich reden machen werden.


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