Die aktuelle Begeisterung für Wanderreisen und ökologisch nachhaltigen Urlaub entspricht ganz dem wachsenden Umweltbewusstsein. Überlaufene Destinationen sind dagegen out. Länder, die diesen Trend erkannt haben, setzen verstärkt auf neue, selektivere Angebote.

Text: Bernard Pichon

Der Klimaschutz hat die Hotelbranche erreicht: Accor, Radisson, NH und einige weitere grosse Akteure arbeiten an einem gemeinsamen weltweiten Nachhaltigkeitsrahmen, der zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens beitragen soll. Geplant ist, die Emissionen in mehreren Schritten auf null zu reduzieren.
Schlagworte wie «Regionalität» und «Bio», die bei umweltbewussten Urlaubern gut ankommen, sind im Gastgewerbe seit Langem gang und gäbe. Auch das Werben mit bzw. für Energiesparmassnahmen ist längst nichts Neues mehr, man denke nur an die freundliche Bitte, «der Umwelt zuliebe» auf den täglichen Handtuchwechsel zu verzichten.

Südseeparadies

Wirklich viel gebracht haben diese Appelle an den guten Willen jedoch nicht. Aus der Erkenntnis heraus, dass ein beherzteres Vorgehen erforderlich ist, wird nun auf neue, wesentlich radikalere Initiativen gesetzt. Das Pioniermodell dieser neuen Entwicklung befindet sich auf Tetiaroa bei Tahiti. Marlon Brando hatte dieses Atoll während des Drehs zu «Meuterei auf der Bounty» in den 1960ern entdeckt und für vergleichsweise wenig Geld erworben.

Der Star, der alles daransetzen wollte, dieses Fleckchen Erde mit grossem touristischem Potenzial zu schützen, wurde zu einer Art Vorreiter in Sachen Ökotourismus: «Wenn es nach mir ginge, würde Tetiaroa auf ewig ein Ort bleiben, der die Tahitianer daran erinnert, was sie sind und schon vor Jahrhunderten waren.»
Heute, nach einigem Auf und Ab, verbringen Gäste wie Brad Pitt und Barack Obama auf der kleinen Hauptinsel den Inbegriff des umweltfreundlichen Luxusurlaubs – in einem vom Forbes Travel Guide ausgezeichneten, geschickt unter Kokospalmen verborgen Resort. Willkommen im legendären The Brando!

Herausforderung angenommen

Um Brandos Vorstellungen in die Tat umsetzen zu können, bedurfte es eines motivierten Unternehmers wie Richard Bailey, der bereits einige edle Resorts in Polynesien geschaffen hatte. In einer wahren «Mission impossible» liess der Hotelier auf der Ansammlung vulkanischer Inselchen mitten im Pazifik einen Luxuskomplex der Extraklasse errichten, der zudem strengsten Vorgaben in puncto Wasser-, Energie- und Einwegmaterialverbrauch genügt.
Das Ergebnis ist verblüffend. Vor dem Hintergrund, dass in diesen Breitengraden die unverzichtbare Klimatisierung den Löwenanteil am Stromverbrauch ausmacht, wurden nicht nur Hunderte Solarpaneele entlang der privaten Landebahn aufgestellt, sondern auch eine raffinierte Anlage entwickelt, die Meerwasser aus der Tiefe hochpumpt und damit die Innenräume kühlt. Dieser «SWAC» genannte Wärmetauscher hat vergangenes Jahr das von Bertrand Piccard ins Leben gerufene «Solar Impulse»-Label für effiziente, ökologische und wirtschaftlich tragfähige Lösungen erhalten.

Die junge Agraringenieurin Anne-Laure Amabile nimmt privilegierte Gäste mit hinter die Kulissen dieses ökotechnologischen Schlaraffenlands, das nicht nur mit einer beeindruckenden Technik aufwartet (Kläranlage, Kompaktor für Recyclingverpackungen, Zerkleinerer für Glas zur Wiederverwendung in Fahrbahnbelägen, Komposter für sämtliche organischen Abfälle usw.), sondern auch mit Bienenstöcken, Biogemüsegarten und Recyclingwerkstätten für nahezu alles, was an Müll anfällt.

Fernöstliche Initiativen

Auch heute noch träumen wir hier im Westen den alten Entdeckertraum vom Paradies am anderen Ende der Welt. Je weiter weg, desto unberührter die Natur, so der Glaube. Tatsache ist, dass jungfräuliche Fleckchen Erde mittlerweile fast überall Mangelware sind. Dennoch nutzen einige bestens erschlossene Reiseländer diese Sehnsucht für die eigene touristische Neuausrichtung nach Corona.

Japan

Japan wartet mit intakten Naturlandschaften auf, verteilt auf 34 Nationalparks. Die Insel Okinawa im Süden ist für ihre Flora und Fauna bekannt. Die dort angesiedelten subtropischen, immergrünen Wälder gehören zum UNESCO-Welterbe und beherbergen mehr als 80 % der Vogelarten des Landes (allein in der Stadt Kin sind 270 beheimatet). Im Norden ragt die gebirgige Waldlandschaft Shirakami Sanchi auf, deren Buchenbestände seit Jahrtausenden praktisch unangetastet sind.
Ökologische Initiativen zielen zwar gemeinhin auf den Schutz natürlicher Ressourcen ab. Für Japan zählt darüber hinaus aber auch die wirtschaftliche und soziokulturelle Nachhaltigkeit der Massnahmen. Man achtet darauf, dass Gemeinden – insbesondere im ländlichen Raum – nicht ins wirtschaftliche Abseits geraten und lokale Besonderheiten unter Schutz gestellt werden. So erhalten Naturliebhaber die Gelegenheit, den Alltag auf einem Biobauernhof zu erleben und auf freiwilliger Basis selbst mitanzufassen.

Philippinen

Die Philippinen sind ein gigantischer Archipel aus 7641 Inseln, von denen nur knapp über 2000 bewohnt sind! Eines dieser besiedelten Eilande wurde dank der Rucksacktouristen des 20. Jahrhunderts zum Touri-Hotspot: Boracay. Der Hype um die Insel lockte Urlauber in Scharen an (in der Hauptsaison waren es bis zu 40 000 gleichzeitig) … bis sich das kleine Paradies in eine regelrechte Kloake verwandelt hatte.
Vor fünf Jahren zog der philippinische Präsident Rodrigo Duterte angesichts dieser Katastrophe die Notbremse und ordnete eine sechsmonatige Sperrung für den Fremdenverkehr an. Die Insel musste gesäubert, das wild wuchernde Gastgewerbe reguliert und das Abwasser aufbereitet werden.
Dank Corona dauerte die «vorläufige» Schliessung etwas länger, sodass Boracay nun daliegt wie neugeboren: Die Gewässer ringsum sind nach dieser Atempause für das Meer und seine Flora und Fauna (insbesondere die Meeresschildkröten) wieder kristallklar.
Auf der Insel gelten jetzt neue Vorschriften, beispielsweise ein Rauch- und Alkoholverbot an den weissen Sandstränden, und auch die Bebauung und die Besucherzahlen wurden beschränkt (maximal 19 000 Urlauber täglich sind erlaubt).

Über die kürzliche Wiedereröffnung zeigten sich Zehntausende vom Tourismus lebende Einheimische sehr erleichtert, nachdem ihnen 2018 plötzlich sämtliche Einnahmen weggebrochen waren. Bleibt zu hoffen, dass Profitstreben die schöne Idylle nicht noch einmal zerstört.

Thailand

Auch Thailand ist in Sachen Übertourismus ein gebranntes Kind (Pattaya, Maya Beach usw.) und fördert jetzt nachhaltigen Tourismus sowie den Besuch weniger stark frequentierter Gebiete.
Der thailändische Minister für Tourismus und Sport, Phiphat Ratchakitprakarn, erklärt: «Nach der Pandemie ist ein nachhaltiges und inklusives Wachstum unser Hauptanliegen».
Und prompt ist Ko Mak in der Provinz Trat die erste «Low Carbon»- Destination Thailands.
Das Land positioniert sich darüber hinaus als Ziel für Wellnessreisen und wartet mit einem umfassenden Angebot an Fitness- und Anti-AgingProgrammen auf, zum Beispiel an der malerischen Andamanenküste.

Vietnam

Auch hier entwickelt sich der Ökotourismus im Einklang mit dem zunehmenden Wunsch der Urlauber, die Umweltauswirkungen ihres Aufenthalts möglichst gering zu halten. Die Provinz Quang Nam, die als Erste der 63 Provinzen/Städte Vietnams, Normen für nachhaltigen Tourismus anwendet, verzeichnet eine starke Veränderung auf der Welterbe-Route von Zentralvietnam. Die Kriterien für diese Neuausrichtung wurden mithilfe des Swiss Sustainable Tourism Programme (SSTP) und 25 anderen, auf internationaler Ebene angewendeten Programmen aufgestellt und betreffen Hotels, Privatunterkünfte, Reisebüros und Sehenswürdigkeiten. Vietnam nutzt nun auch gleich die Gunst der Stunde, um vermehrt umweltfreundliche Reiseerlebnisse anzubieten: Bootstouren auf dem Fluss Ngo Dong, Wandern im Nationalpark Cuc Phuong, Radtouren in der Stadt Mai Chau oder auch im Mekong-Delta.