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Mentalcoaching im Aufwind

von Walter Rudin

Mentale Stärke ist im Spitzensport mitentscheidend. Sie ist aber kein Selbstläufer und muss genauso intensiv trainiert werden wie die physischen Komponenten. Wie funktioniert Mentalcoaching und was bewirkt es bei den Athletinnen und Athleten? Skippers hat bei Mentalcoaches und Seglerinnen nachgefragt.

«Ich bin immer wieder erstaunt über die Präzision, mit der das Equipment der Athleten abgestimmt und ihre Körperhaltungen bis auf den Millimeter genau optimiert werden», bemerkt Eveline Bhend, ehemalige Ski-Olympiateilnehmerin und seit zehn Jahren Mentalcoach. «Doch was geschieht, wenn die Körperspannung nicht optimal ist oder destruktive Gedanken aufkommen? Mentaltraining ist genauso essenziell wie das physische Training. Es gibt keine körperliche Aktion, bei der nicht auch der Geist einbezogen ist. Es kommen immer Gedanken auf, die in irgendeiner Form den Körper beeinflussen.»
Zahlreiche Studien belegen, dass Athletinnen und Athleten, die regelmässig mental trainieren, signifikant bessere Leistungen erbringen. Die Auswirkungen reichen von einer schnelleren Reaktion bis hin zu einem besseren Umgang mit Frustration und Druck.
Der Thuner- und Brienzersee Seglerverband (TBSV) setzt Mentalcoaching bereits seit Jahren in der Juniorenförderung ein. Für den TBSV-Präsidenten Ernst Peter Burger ein wichtiges Element: «Im Segelsport läuft so viel im Kopf ab, da darf es keine störenden Ausseneinflüsse geben. Hier kommt das Mentale voll zum Zug, insbesondere bei den Jugendlichen, die sich noch sehr einfach ablenken lassen.»

©Sailing Energy

Vielseitiger Ansatz

Julia Kalenberg war als Mentalcoach für den Segelnachwuchs beim TBSV tätig. Sie erklärt, wie Mentaltraining bei den Jüngsten funktioniert: «Zu Beginn des Coachings mit den Kindern arbeiten wir in der Gruppe, um Grundlagen zu legen. Wenn sie später auf ein Zweimannboot wechseln, bilden wir Zweierteams. So lernen die Kinder von Anfang an, ihre gegenseitigen Stärken zu sehen, einander zu sagen, was gut läuft und was sie am anderen schätzen. Im Einzelcoaching sind wir oft auf einem ‹Solution Walk› in der Natur unterwegs. Die Coachées können sich mithilfe von Skalenfragen weiterentwickeln. Die Arbeit mit Zielposter und Lösungstagebuch bewährt sich. Damit machen die Athleten Veränderungen und Erfolge greifbar und stärken ihr Selbstvertrauen.» Maayke van der Pluijm unterstützt als Mental Coach Spitzenathleten, Trainer und Mitarbeitende des Swiss Sailing Teams. Dazu gehört das Coaching der Seglerinnen und Segler in Bezug auf grundlegende mentale Fähigkeiten zur Bewältigung von Druck während der Wettkämpfe. «Das machen wir zum Beispiel mit Entspannungstechniken, Visualisierung, Entwicklung von Routinen und Emotionsregulierung», erklärt sie. «Während der Olympiade haben wir uns darauf konzentriert, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem sich die Segler erholen, Kontakte knüpfen und sich auf den nächsten Wettkampftag vorbereiten konnten.»

Erfolg braucht Zeit

Mentaltraining ist Vertrauenssache. Es kommt nicht jeder Athlet mit jedem Mentalcoach zurecht. Es muss sehr gut passen, damit der Funke überspringt und sich der Erfolg einstellt. Und es ist ein langer Weg. Bei Jugendlichen zeigt sich der Erfolg häufig zuerst auf schulischer Ebene. Sie können sich besser konzentrieren, sind weniger abgelenkt und haben bessere Noten. Der Schulalltag geht ihnen leichter von der Hand. Sportliche Topleistungen kommen später, da dort noch viele andere Faktoren mitspielen.
Für Maayke van der Pluijm hängt der Erfolg beim Mentaltraining vom Ziel ab, das sich die Sportlerin oder der Sportler gesetzt hat. Dieses basiere meistens auf dem subjektiven Feedback in Bezug auf Stress, mentale Verfassung oder Fokus während des Trainings und der Rennen. Sehr oft gehe es beim Mentaltraining aber nicht nur um die sportliche Leistung, sondern auch darum, mit den Anforderungen des Lebens besser zurechtzukommen. «Für mich als Trainerin bedeutet Erfolg, dass der Athlet mit der Zeit mental und körperlich ausgeglichen ist und sich besser in der Lage fühlt, mit dem Druck bei hochrangigen Wettkämpfen, aber auch im Alltag umzugehen», ergänzt sie.
Mentaltraining impliziert einen Prozess, der Zeit, Geduld und vor allem regelmässige Praxis erfordert, meint Eveline Bhend. Der Schlüssel zum Erfolg liege in der Konstanz und der Integration der mentalen Werkzeuge in den Alltag sowie in das reguläre Training. «Wer es in Alltag, Schule und Training nicht übt, hat keine Chance, es im Wettkampf umsetzen zu können.»

MENTALCOACHING WAR EIN FESTER BESTANDTEIL DES SCHWEIZER OLYMPIATEAMS IN PARIS ©Swiss Sailing team

Von «gut» zu Weltklasse

Was halten Spitzenathletinnen von Mentaltraining? Olympionikin Maja Siegenthaler meint: «Das Mentalcoaching hat mir geholfen, mehr im Hier und Jetzt zu sein und somit mehr prozessorientiert zu arbeiten, ganz unter dem Motto ‹Erfolg folgt›. Es ist wichtig, von Anfang an daran zu arbeiten, denn dann besitzt man die Werkzeuge, um aus einer Krise einen produktiven Zustand zu machen und stärker daraus herauszukommen.» ILCA6-Seglerin Anja von Allmen ergänzt: «Am Ende macht die mentale Stärke den Unterschied zwischen gut und Weltklasse. Je früher man damit anfängt, desto besser, und je ehrlicher man mit sich selbst und in den Mentaltrainings ist, desto mehr lernt man sich, und das, was man in welchen Situationen auf dem Wasser braucht, kennen.»

Magische Zone

In einer Welt, in der konstant nach Exzellenz gestrebt wird, ist Mentaltraining ein unverzichtbares Werkzeug, um die Segelnden nicht nur besser, sondern auch ausgeglichener und widerstandsfähiger zu machen. Es ist der unsichtbare Wind, der ihre Segel füllt und sie zu neuen Horizonten führt. Eveline Bhend bringt es auf den Punkt: «Das wahre Potenzial des Mentaltrainings entfaltet sich, wenn alles zusammenkommt und Athleten bewusst in die ‹magische Zone› eintreten können. Dieser Zustand repräsentiert das höchste Niveau des Mentaltrainings, wo Körper und Geist in perfekter Harmonie zusammenarbeiten, um Spitzenleistungen zu erzielen.»

MAAYKE VAN DER PLUIJM HAT DIE ATHLETINNEN AUCH AUF DEM WASSER BEGLEITET ©Sander van der Borch Photograph

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