Der Polarforscher, Glaziologe, Fotograf und überzeugte Umweltaktivist möchte zum «letzten grossen Marsch» aufbrechen.

Interview: Brice Lechevalier

Wie kam es zu Ihrer Faszination für
die grossen Entdecker?

Mein Leben wurde sehr früh von der Natur und Entdeckungen beeinflusst und durch mehrere Faktoren geprägt. Bereits in sehr jungem Alter haben mich die Bücher von Jack London, wie Ruf der Wildnis oder Wolfsblut, fasziniert, später dann die Berichte von Forschungsreisenden wie Franklin, weshalb ich als Jugendlicher Polarforscher werden wollte. Meine Eltern wohnten in Paris, London und New York, doch mein Vater war Matrose und liess mich bereits mit drei Jahren segeln. Mit fünf Jahren begann ich mit der Opti, danach folgten die 420, die 470 und die Finn und heute segle ich im Sommer, wann immer ich kann, mit der Tiger, bin aber auch begeisterter Windund Kitesurfer. Ich war schon immer sehr sportlich. In der weiter- führenden Schule spielte ich Wettkampftennis und war im Laufsport aktiv. Ich war recht introvertiert und drückte mich – bereits mit 12 Jahren – viel über die Fotografie aus. Dabei war ich sicherlich von meinem britischen Grossvater beeinflusst, der die erste Hälfte seines Lebens, mit einem Gewehr ausgestattet, auf Safaris in Indien verbracht hat; in der zweiten Hälfte tauschte er das Gewehr dann gegen einen Fotoapparat aus. Auch ich sehe mich als Jäger, und zwar von Bildern: Das Einzige, was ich einfangen möchte, ist die Natur mit meinem Kameraobjektiv. Naturwissenschaften haben mir immer gefallen, ich habe Glaziologie und Klimatologie studiert und war stets sehr wissbegierig. Dieser Entdeckungsdrang und der Wunsch nach Verbundenheit mit der Natur brachten mich auch zum Wandern und Klettern, wobei ich immer ein Ziel brauchte.

Welche dieser 13 Expeditionen hat Sie am stärksten geprägt?

Das war mit Abstand der Nordpol, die »Königsdisziplin». 2009 habe ich eine erste Expedition dorthin gemacht, 2017 dann eine weitere, die ich jedoch nicht zu Ende gebracht habe; deshalb hoffe ich, 2021 noch einmal dorthin zurückkehren zu können. Die Vorbereitung solcher Expeditionen ist mit grossem Aufwand verbunden: wissenschaftliche Recherchen, die Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten, wie z. B. mit meinem Sponsor Ulysse Nardin. In all diesen Jahren habe ich tiefgreifende glaziologische Kenntnisse erworben, die ich weiterhin pflege; das ist äusserst wichtig, denn das Leben des Menschen hängt dort nur an einem seidenen Faden. Eis gehört für mich dazu wie die Luft zum Atmen: Ich habe knapp 10 000 km darauf zurückgelegt, bin darin eingebrochen und wur-de dort sogar von Bären angegriffen. Trotzdem habe ich zunächst eine Sandwüste durchquert, die Simpsonwüste in Australien, die weltweit grösste Paralleldünen-Wüste. 1 100 dieser Dünen musste ich überqueren und dabei einen Karren mit 200 l Wasser mit meinem Teamkollegen ziehen, was uns einen Weltrekord auf dieser Strecke einbrachte. Damals war ich Werbefotograf und verdiente genügend Geld, um meine ersten Expeditionen auf diese Weise zu finanzieren. Am Anfang machte ich eine grosse Expedition pro Jahr, dann wurden die Abstände grösser, denn mittlerweile bin ich 56 Jahre alt und habe zwei Kinder.

Wenn Ihre Ausstellung mit 82 grossfor- matigen Fotos am Jardin du Luxembourg in Paris 4 Millionen Besucher anzieht, was löst das in Ihnen aus?

Im Rahmen meiner Arbeit hatte ich sehr häufig Ausstellungen, aber niemals in dieser Grösse. Diese Bilder, die für einen grossen Teil meines Lebens und eine für mich sehr wichtige Thematik stehen, so vielen Menschen präsentieren zu können, bedeutet mir sehr viel. Ihre Reaktionen waren eine Bestätigung meiner grundsätzlichen Überzeugung, dass man einem interessant präsentierten Thema gegenüber unmöglich gleichgültig bleiben kann. Ich bin nicht der beste Forscher, nicht der beste Fotograf, nicht der beste Umweltaktivist der Welt, aber meine Fähigkeit, mich in diesen drei Disziplinen gleichzeitig auszudrücken, ist sehr gut. Nehme ich dies mit auf die Strasse und tausche mich mit den Leuten aus, merke ich, dass die Menschen grundsätzlich gut, aber schlecht informiert sind. Erreicht man sie jedoch in ihrem Herzen, kann man sie auch in ihrem Denken erreichen.

Was würden Sie jemandem empfehlen, der in seiner Freizeit gerne reist?

Neugier war stets die Hauptantriebskraft in meinem Leben; die Natur zu entdecken, zu spüren, eins mit ihr zu werden, ist daher meiner Meinung nach das Wichtigste. Das Leben ist zu komplex und zu faszinierend, um es einfach nur über sich ergehen zu lassen, man muss es erfahren. Befindet man sich in einer so rauen Umgebung wie am Nordpol, kann man verstehen, dass es nichts Zerbrechlicheres gibt als das Leben. Wir leben in dieser Illusion, dass wir durch den Einsatz von Technologien Sicherheit im Dienste unserer Lebensqualität erreichen, wir stecken alle unsere Probleme in einen Umschlag und schicken sie woanders hin. Mein Engagement für diese Sache lässt mich natürlich zahlreiche Reisen unternehmen, wenn möglich im Zug, doch ich gleiche meinen gesamten CO2-Abdruck aus. Die besondere Gabe des Menschen besteht in seiner Vorstellungskraft, seiner Fähigkeit, die Zukunft zu berücksichtigen, zu planen, bewusst zu handeln. Doch diese Fähigkeit, über den Tellerrand zu blicken, ist durch das praktische Leben, das wir uns zu unserer Bequemlichkeit eingerichtet haben, abgebaut worden, was langfristig eine Bedrohung für unser Leben darstellt. Wenn wir in die Natur hinausgehen, können wir uns wieder auf uns besinnen, erhalten wieder einen Bezug zur Erde. Ökotourismus ist zwar eine interessante Möglichkeit, unseren CO2-Abdruck zu verringern, doch Verbundenheit mit der Natur wiegt meines Erachtens schwerer, da sie zu dem Wunsch führt, diese zu schützen, sowie zu Entscheidungen mit positiven Folgen.

Sie haben als professioneller Werbefotograf gearbeitet, inwiefern öffnet Ihnen das heute Türen?

Sicher ist: Eine grosse Schwierigkeit bei Forschungsreisen ist die Finanzierung. Es ist daher äusserst wichtig, auf ein breites Spektrum an Instrumenten zählen zu können, die das Auftreiben von Finanzmitteln erleichtern. Professionelle Fotos waren eine Möglichkeit, meiner Disziplin einen weiteren Schliff zu geben, eine universelle Sprache, mit der eine grundsätzliche Frage einem grossen Publikum optisch und spielerisch nahegebracht werden kann, aber auch Medien wie Ihr Magazin und National Geographic sowie nachhaltig agierende Unternehmen wie mein Sponsor Ulysse Nardin können von meinem fotografischen Schatz profitieren. Die Macht der Bilder funktioniert, und wie sagte schon Stendhal: «Schönheit ist ein Versprechen von Glück».

Mit welchem Expeditionsvorhaben beschäftigen
Sie sich derzeit?

Im Augenblick befasse ich mich mit der – wie ich glaube – letzten menschlichen Forschungsreise zur Durchquerung des Nordpols zu Fuss, ohne Unterstützung und von der Erde aus: «the last Great March». Das war mein Kindheitstraum und für die Kinder von heute wird das nicht mehr möglich sein, das muss man sich klarmachen. Im Übrigen liegen meine Erfolgschancen meiner Ansicht nach bei 20 %. Durch die Klimaveränderungen ist das Eis nicht mehr stabil, es ist leicht oder über den Sommer hinweg gar völlig geschmolzen, es bewegt sich, ist voller Luftblasen. Da die Arktis aufgrund von Wind und Strömungen in ständiger Bewegung ist, bricht dünner gewordene Eis. Zudem verringert sich seine Gesamtfläche und der Frühling beginnt immer früher. Wenn es sich wieder zusammenfügt, muss man manchmal über Eismauern klettern oder Meeresrinnen schwimmend durchqueren; das ist anstrengend und viel zeitaufwändiger und unberechenbarer als früher, wie Mike Horn letzten Herbst festgestellt hat. Wenn es mir gelingt, die Finanzierung unter Dach und Fach zu bringen, muss ich noch eine spezielle Rettungsmannschaft finden; in dieser Zone gibt es fast keine mehr und nur noch zwei Flugzeugtypen sind auf dieser Fläche landungsfähig. Ich hoffe, ich schaffe das!

Siehe auch Sebastiancopeland.com und Lastgreatmarch.com